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Gewalt von Michael Riekenberg
Eine Ontologie

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Kategorie: Bücher
Seiten / Format: 164 S
Erscheinungsjahr: 2019
Verlag: Campus Verlag
Sprache: Deutsch
ISBN: 9783593509846

Inhalt
Vorwort 7
Kapitel 1Woher? Wohin? 9
Kapitel 2Wovon spreche ich?19
Kapitel 3Eine Abschweifung37
Kapitel 4Ontologien45
Kapitel 5Der Mythos 61
Kapitel 6Über Umgebungen 64
Kapitel 7Über das Räuberische77
Kapitel 8Die Mimesis 90
Kapitel 9Die Revolution98
Kapitel 10Metamorphosen 102
Kapitel 11Die Furcht 110
Kapitel 12Der Jaguar-Staat 125
Kapitel 13Der Bürgerkrieg133
Kapitel 14Im Spiegel 137
Kapitel 15Der gegenständliche Blick 147
Schluss151
Anmerkungen 153
Literatur161
Namensregister 163»Ein dicht geschriebener Text, der viele Anknüpfungspunkte bietet und insbesondere ein Ausgangspunkt für einen weiterführenden Diskurs zwischen Anthropologie, Politik- und Geschichtswissenschaft sein könnte.« Pascal Henke, Anthropos, 116.2021»Der Autor leistet einen originellen Beitrag zur gewaltsoziologischen Debatte, der einen dezentrierteren Zugang zur Komplexität und Multidimensionalität von Gewalt erlaubt. Seine Kritik an der Gewaltforschung ist pointiert und regt zum Nachdenken an [...]« Dr. Markus Hochmüller, KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (2021) 73:319-321Vorwort
Ich schreibe dieses Buch wie einen wissenschaftlichen Essay. Dies soll es mir erlauben, mitunter nur meinen Eindrücken Ausdruck zu geben, nicht gesicherten Ergebnissen der Forschung, ohne deswegen freilich die wissenschaftliche Methodik aufzugeben. Zudem ist es mir auf diese Weise möglich, den Gegenstand aus der Perspektive verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zu betrachten und mich nicht nur an dieErkenntnisse eines einzigen Fachs zu halten. Denn wenn ich dieses Buch auch als Beitrag zu einer Soziologie der Gewalt schreibe, so ist Gewalt doch zu weitläufig, als dass sie nur aus der Sicht der Soziologie behandelt werden könnte.
Ein Essay mutet recht monologisch an, und auch dieses Buch führt meine Gedanken zum Thema aus. Aber natürlich beruhen diese Gedanken auf dem, was ich dazu gelesen habe. Ich will deshalb im Folgenden nicht auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichten; jedoch versuche ich, ihn klein zu halten, um den Charakter des Buches möglichst wenig zu stören. Werden Titel bereits im Text genannt und kann der Leser die benutzte Literatur daraus erschließen, so wird diese nicht mehr unbedingt in den Anmerkungen aufgeführt. Schließlich zitiere ich in diesem Buch mitunter aus meinen früheren Arbeiten, ohne dies ausdrücklich kenntlich zu machen oder darauf hinzuweisen. Jürgen Hotz danke ich für das wissenschaftliche Lektorat.
Nicht immer ist es in diesem Buch leicht, eine klare Grenze zwischen den eigenen Gedanken und den Einflüssen anderer Autoren zu ziehen. Auch gibt es vermutlich Überschneidungen. So spreche ich in diesem Buch von der Gewalt und demTod. Ich nehme an, dass es fernab der Gewaltsoziologie in anderer Literatur ähnlich lautende Sätze über den Tod und das Sterben gibt, ohne dass ich diese Literatur kennen würde oder sie je gelesen hätte.
Göttingen, Anfang 2019Michael Riekenberg

Kapitel 1
Woher? Wohin?
Vermutlich findet jederWissenschaftler, der sich mit dem Gegenstand Gewalt auseinandersetzt, in seiner Lebensgeschichte Beweggründe, die erklären helfen, warum er sich in seinen Gedanken gerade damit beschäftigt. Oft sind es Gewalterlebnisse, die den Menschen dazu anhalten, dies zu tun - es sei denn, er zieht es vor,die Erinnerung daran zu verdrängen, weil sie ihn allzu sehr belastet. Meine Motive, über Gewalt zu schreiben, rühren aus der Zeit her, in der ich in Guatemala lebte. Als ich zu Anfang der 1980er-Jahre in dieses Land kam, befand es sich auf dem Höhepunkt eines Bürgerkriegs. Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Eindrücke damals: Das Flugzeug landete spät am Abend, und als ich vom Flughafen der Hauptstadt in die Innenstadt gefahren wurde, war unser Wagen nahezu das einzige Fahrzeug auf den menschenleer erscheinenden Straßen. Irgendwann überholte uns ein Polizeiwagen. Seine Scheibenwaren zerschossen, auf dem Rücksitz saß ein Polizist, der ein Gewehr nach hinten aus dem Fahrzeug richtete, ständig gewahr, dass er und seine Kollegen in der Dunkelheit in einen Hinterhalt geraten und angegriffen würden. So war mein erster Eindruck von diesem Land ein Gefühl drohender Gewalt,das mich all die Jahre, die ich in Guatemala lebte, nicht mehr recht los ließ. Damals, unter dem Eindruck meiner Erlebnisse im Bürgerkrieg, begann ich, mich als Wissenschaftler mit dem Phänomen der Gewalt zu beschäftigen, und seitdem habe ich nicht mehr aufgehört, dies zu tun.
Ich werde späterim Buch, wenn es um die Epistemologie der Gewalt geht, die Frage erörtern, was es bedeutet, wenn derjenige, der über Gewalt schreibt, ihr selbst nahe war und wie sich dies auf das Verhältnis von Nähe und Distanz auswirken mag, das wir im Schreiben über die Gewalt aufsuchen müssen, wenn wir der Erregung der Gewalt, die wir in ihrer Gegenwart empfinden, nicht einfach nachgebenwollen. Denn Gewalt nimmt uns in ihren Besitz, sie befällt uns, zumindest gilt dies für die schreckliche Gewalt, von der allein in diesem Buch die Rede ist. Hier, in der Einführung in dieses Buch, geht es aber zunächst nur darum darzulegen, mitSowohl in der Soziologie als auch in der Geschichtswissenschaft hat die Beschäftigung mit Gewalt in den vergangenen Jahren vielerlei Anregungen durch die"Neue Gewaltsoziologie"erfahren. Jedoch mehren sich in Fachkreisen die Zweifel, ob"dichte Beschreibungen"der Gewalt hinreichen, um sie zu verstehen, oder ob es nicht notwendig ist, Gewalt wieder stärker in Zusammenhänge zu stellen und aus ihnen heraus zu begreifen. Dieses Buch wählt einen gänzlich neuen Zugang: Es geht von der Anthropologie aus und versucht, deren Ergebnisse - insbesondere die Arbeiten der"Amazoniker", meist französischer und brasilianischer Autoren, die hierzulande wenig gelesen werden - für den Entwurf einer Gewalttheorie zu nutzen, die verschiedene Wissenschaftsdisziplinen miteinander ins Gespräch bringt. In Gestalt eines Essays, in der Methode des Vergleichs und mit Blick auf nichtwestliche Kulturen gewinnt Michael Riekenberg faszinierende Gesichtspunkte und Kategorien, die es erlauben, in neuer Weise über die Gewalt in unserer Welt nachzudenken.1DEMichael Riekenberg ist emeritierter Professor für Vergleichende Geschichtswissenschaft und Geschichte Lateinamerikas an der Universität Leipzig. Er gilt als einer der führenden Gewaltforscher zur Geschichte Lateinamerikas.

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