Kauf von Freiheit. Dr. Heinz-Günther Hüsch im Interview mit Hannelore Baier und Ernst Meinhardt
13. Mai 2013
Tagung in Hermannstadt: Familienzusammenführung oder Freikauf?
Wie viel Geld von Anfang der 1960er bis Ende der 80er Jahre insgesamt von Deutschland nach Rumänien floss, ist noch unklar und wird es vielleicht für immer bleiben. Bekannt ist, das im Gegenzug 210.000 – andere Quellen sprechen von 236.000 – Rumäniendeutsche in die Bundesrepublik ausreisen durften. Grundlage dafür waren bilaterale Vereinbarungen, die unter strengster Geheimhaltung zwischen beiden Staaten ausgehandelt wurden. Eine der Schlüsselfiguren auf deutscher Seite war der Neusser Rechtsanwalt Dr. Heinz-Günther Hüsch. Im Auftrag der Bundesregierung verhandelte er zwischen 1968 und 1989 die Konditionen der so genannten Familienzusammenführung.
Einer der Verhandlungspartner auf rumänischer Seite war Stelian Octavian Andronic, ein Offizier des Auslandsnachrichtendienstes. Ein Dialog zwischen diesen beiden sollte der Höhepunkt der Tagung „Familienzusammenführung versus Freikauf der Deutschen aus Rumänien in der Zeit des Kommunismus" werden. Die Tagung wurde am 19. und 20. April vom Demokratischen Forum der Deutschen in Hermannstadt mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) organisiert. Erstmals wurde die deutsche Perspektive auf die Ausreise durch die Darstellung von Dokumenten aus Securitate-Archiven und die Wahrnehmung durch die rumänische Bevölkerung ergänzt.
Der geplante Dialog kam nicht zustande, da Andronic wenige Wochen vor der Tagung seine Teilnahme absagte. Der mittlerweile 83-jährige Dr. Hüsch enthüllte vor den rund 50 Teilnehmern ausgewählte Aspekte der Verhandlungen, die in einem mündlichen und sechs schriftlichen Abkommen resultierten. Abseits der historischen Fakten informierte Hüsch, der sich bei seinen Besuchen in Bukarest stets von einem seiner Söhne oder seinem Schwiegersohn als „Sicherheitsbeamte" begleiten ließ, über Anekdoten seiner mitunter riskanten Tätigkeit, den Transport von Bargeld in Millionenhöhe durch Europa, aber auch Dreistigkeiten der Securitate, darunter das Auftauchen von hochrangigen Securitate-Offiziere in seiner Privatwohnung, Kompromittierungsversuchen in Bukarest u.Ä.
Über den Vorgänger von Dr. Hüsch sprach Ernst Meinhardt, Redakteur der Deutschen Welle. Ab 1957 taucht in Dokumenten der Name des Rechtsanwaltes Dr. Ewald Garlepp auf, der laut Meinhardt im Auftrag der Rechtsschutzstelle des Auswärtigen Amtes die Freilassung und Ausreise von rumäniendeutschen politischen Häftlingen aus Rumänien erwirken sollte. Die erste Geldzahlung ist für das Jahr 1962 belegt, wahrscheinlich sind schon frühere Zahlungen erfolgt. Während Garlepp sich um Einzelfalllösungen bemühte – zwischen 1950 und 1967 reisten 16.500 Rumäniendeutsche nach Deutschland aus – ging es Dr. Hüsch um Gruppenlösungen – mit Erfolg. Von anfänglich 4000 steigerte sich das jährliche Visakontingent auf 14.000 ab 1987.Dr. Florian Banu (links) präsentierte Dokumente ...Dr. Florian Banu (links) präsentierte Dokumente aus den Securitate-Archiven, daneben (von links) Ernst Meinhardt, Dr. Cosmin Budeancă und Dr. Andrei Muraru. Der „Kauf von Freiheit", wie Dr. Hüsch seine Mission nennt, diente der Befreiung von ausreisewilligen Deutschen aus der kommunistischen Herrschaft. „Es war für mich mehr als ein Auftrag, es war ein persönliches Anliegen", bekannte er. Den Kontakt zu den rumäniendeutschen Landsmannschaften habe er vermieden, erklärte er auf Nachfrage aus dem Publikum. Journalist Meinhardt ergänzte, dass die Landsmannschaften, insbesondere die der Siebenbürger Sachsen, immer wieder in Sachen Ausreise intervenierten, beispielsweise bei Außenminister Hans-Dietrich Genscher, „aber der Erfolg war eher bescheiden".
Innerhalb der rumäniendeutschen Gemeinschaft führte die Ausreise zu Spannungen, kulturellen Auflösungserscheinungen und sozialen Problemen. Anfangs sei man sich dieser Folgen nicht bewusst gewesen, erklärte Dr. Hüsch. In den 1970er Jahren wurden diese angesichts der steigenden Ausreisezahlen jedoch immer sichtbarer, und „das hat uns bedrückt". Laut Dr. Hüsch habe man der rumänischen Seite verschiedentlich großzügige Hilfsangebote unterbreitet, angefangen von Medikamenten- und Lebensmittellieferungen bis hin zu Schulmaterialien, die allesamt abgelehnt worden sind.
Am Beispiel der banatschwäbischen Gemeinschaft schilderte der Soziologe Prof. Dr. Anton Sterbling die Auswirkungen der Ausreisen. Gab es Anfang der 1970er Jahre neben den Ausreise- bzw. Bleibewilligen noch eine große Gruppe Unentschlossener, wurde diese jedoch schnell kleiner, als man den Aussiedlungsprozess als kontinuierlich und in irgendeiner Form berechenbar erkannte. Wenig bekannt seien die Geldzahlungen auf lokaler Ebene, Sterbling verwendet hier den Begriff „Beschleunigungsgelder", die zwar keinen Einfluss auf die Gesamtzahl der Ausreisen, wohl aber auf die Reihenfolge hatten, in der die Ausreisewilligen die Papiere erhielten. „Ein wenig aufgearbeitetes Kapitel ist auch die Frage nach jenen, die sich in den Dienst der Securitate gestellt haben, um ausreisen zu können", so Sterbling. Das Phänomen sei nach seiner Kenntnis größer, als er angenommen hätte. Indes fehlt es noch an empirischen belastbaren Belegen, da die in beiden Fällen Betroffenen bis heute schweigen.
Eine harte Haltung nahm die evangelische Kirche in Rumänien bezüglich der Ausreise der Pfarrer ein, berichtete Zeitzeuge Pfarrer i.R. Wolfgang Rehner. Die Kirchenführung appellierte an die Dienstpflicht der Pfarrer, warnte davor, zu „Mietlingen" zu werden, und überzeugte sogar die Führung der evangelischen Kirche in Deutschland davon, ausgereiste Pfarrer nicht in ihren Dienst zu übernehmen. Trotz der Losung von Bischof Albert Klein auf der Landeskirchenversammlung von 1970: „Die Kirche wandert nicht aus", entschied die überwiegende Mehrheit, es trotzdem zu tun.Dr. Heinz-Günther Hüsch (rechts) und Altbischof ...Dr. Heinz-Günther Hüsch (rechts) und Altbischof Dr. Christoph Klein, der Hüschs neues Interview-Buch in der Hand hält. Fotos: Holger Wermke Ein Verdienst der Tagung war die Darstellung der Forschungsergebnisse rumänischer Wissenschaftler zur Ausreiseproblematik. Ausgewählte Dokumente aus den Beständen des Nationalrates für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS) stellte Dr. Florian Banu vor. Einen umfassenden Blick auf die Perzeption der Ausreise in Securitate-Akten bietet übrigens die Quellensammlung „Acţiunea Recuperarea. Securitatea şi emigrarea germanilor din România (1962-1989)", deren Mitherausgeber Banu ist. Die sehr genaue und differenzierte Beobachtung der Auswanderung durch die rumänischen Mitbürger belegte Dr. Cosmin Budeancă anhand von ihm geführter Interviews in den Kreisen Hunedoara, Hermannstadt und Alba.
Vorgestellt wurde der Vortrag des verhinderten Dr. Liviu Ţăranu, der die rumäniendeutsche Wahrnehmung der miserablen wirtschaftlichen und politischen Situation im Land untersucht hat. Ţăranu hatte dafür Briefe ausgewertet, die an in Deutschland lebende Angehörige und Freunde geschrieben und von der Securitate geöffnet wurden.
Früher als die Rumäniendeutschen, nämlich schon ab 1948, seien Juden aus Rumänien durch Israel freigekauft worden, führte Dr. Andrei Muraru aus.
Die Tagung lieferte facettenreiche Einblicke in ein bis heute kontrovers diskutiertes Thema. Viele Fragen bleiben weiter offen. Dr. Hüsch gab zu, er habe zwar vieles erzählt, aber noch lange nicht alles. Das was er bislang preisgab, kann man in dem wenige Tage vor der Tagung erschienenen Buch „Kauf von Freiheit. Dr. Heinz-Günther Hüsch im Interview mit Hannelore Baier und Ernst Meinhardt" nachlesen. Das im Honterus-Verlag (ISBN 978-9731725901) erschienene Buch fasst einen Großteil der in den vergangenen Jahren in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien erschienenen Interviews mit Dr. Hüsch, Beiträge zur Familienzusammenführung aus der Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde sowie einen Vortrag über Dr. Ewald Garlepp zusammen. Dr. Hüsch stellte weitere Enthüllungen zu gegebener Zeit in Aussicht. Möglicherweise entscheiden sich auch andere Zeitzeugen, über ihre Erfahrungen zu diesem Thema zu sprechen. Das Interesse am Thema jedenfalls ist groß – das bewies die Hermannstädter Tagung.
Holger Wermke, SBZ-Online vom 26.4.13