Bekenntnisse einer Junggebliebenen
4. Januar 2011
Der neue Roman von Nora Iuga
Nicht nur den Verlag, sondern auch den Übersetzer hat Nora Iuga gewechselt: Der neue Roman der bekannten rumänischen Lyrikerin und Übersetzerin "Die Sechzigjährige und der junge Mann" erschien bei Matthes & Seitz in der gelungenen Übersetzung von Eva Ruth Wemme. Darin erzählt eine alternde Schriftstellerin, besser gesagt Dichterin namens Anna ihre Erinnerungen.
Der jüngere Dichter bewundert sie. Die "Grande Dame der rumänischen Lyrik" (S. 147) plaudert aus dem Nähkästchen und lässt ihn an ihrem Leben teilhaben. Und indirekt provoziert er diese Bekenntnisse auch durch seine schweigende Anwesenheit.
Da geht es um Erinnerungen aus Kindheit und Jugend; politische Themen werden nur gestreift, Autorentratsch höchstens mal erwähnt, dominant ist allenfalls die Beziehung der Dichterin zu ihrer Studienkollegin Terry, ein zwiespältiges Verhältnis zwischen Liebe und Enttäuschungen, das sich nur langsam aus den Erinnerungen herausschält. Während Terry Karriere macht, kämpft Anna gegen ihre Vorgesetzten an.
Und immer mal wieder geht es auch um die Literatur. Da wird die Lyrik mit ihrem aristokratischen Gestus als ewige Wiederkehr und Unterschlupf des Instinktes der viel systematischeren Prosa gegenübergestellt, an der sich Anna in Zeiten poetischer Durststrecken vergreift.
Ein netter Plauderton durchzieht das gesamte Werk, das vor allem durch die Interaktion der Erzählerin mit ihrem stummen Gegenspieler lebt. Er darf sich nur durch seinen grünen Blick äußern, dieser aber bricht die Tabus und erotisiert das Werk. "Der grüne Blick löst sich von meinen Augen und läuft wie ein warmer Wassertropfen über meine Nase, ich fühle ihn etwas heißer auf den Lippen, er landet auf dem Kinn, rinnt den Hals abwärts wie ein Kitzeln, kommt an bei der hochgeschlossenen Bluse, wandert abwesend weiter, an den Brüsten vorbei, kommt zu den Armen, hält bei den Händen inne". (S. 11) Dem wird die gnadenlose Körperlichkeit des Alters entgegengesetzt: "ich gerate in Panik, mir ist, als sähe ich meine geschwollenen Venen zum ersten Mal, wie bläuliche Würmer, und dann die ins Fleisch gewachsenen Nägel, die braunen Leberflecke."(S. 11) Das geht so weit, dass Anna Ekel vor sich selbst empfindet.
Und dennoch wird diese Kreatürlichkeit in Gedanken überspielt, und dann merkt man, wie diese Dame im Geiste junggeblieben ist, nämlich wenn sie beschreibt, wie sie über die Liebe denkt, und was sie sich mit ihrem gutaussehenden Zuhörer, der ihr Sohn sein könnte, so vorstellen kann: "Ich stelle mir vor, dass er mich will, ich stelle mir vor, er findet mich schön, er wäre so verliebt in mich, dass er mein Alter, meine Krankheit und mein scheußliches Aussehen vergisst" (S. 164) - unter anderem auch, dass eine Liebe die Altersbarrieren umschiffen kann.
Dabei spielt Nora Iuga nicht nur mit veralteten Moralvorstellungen, sondern auch textuell mit den Perspektiven, sie wechselt recht freimütig von der ersten in die dritte Person, und somit baut sie eine Nähe auf zu Anna, um sie dann manchmal im gleichen Satz wieder zu zerstören und sich von ihr zu distanzieren. Und auch der grüne Blick ist vielleicht nur ein Produkt ihrer Vorstellungskraft, gesteht die Erzählerin an anderer Stelle. Wenn es diesen nicht gibt, dann verschwindet auch die Erzählerin, die der "Willkür [ihrer] Fiktion ausgeliefert [ist]" (S. 117). Im Nachtrag distanziert sich die Erzählerin nochmal von der ganzen Geschichte "in dem augenblick, in dem man seine liebe in text verwandelt, verblasst die gelebte wirklichkeit" (S. 184), ja das Papier der Geschichten eigne sich sogar für den Mülleimer.
Nichtsdestotrotz überzeugen diese Bekenntnisse einer Junggebliebenen, der Plauderton einer alternden Frau, die schon viel erlebt hat, ist glaubhaft, und das aufreizende Spiel mit der Neugier und der angedichteten Begierde des grünen Blicks verleihen den Erinnerungen eine erotische Würze.
Edith Ottschofski
Nora Iuga, Die Sechzigjährige und der junge Mann. Roman. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme, Berlin, Matthes & Seitz, 2010, 16,80 Euro