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Über Bitten und Verstehen

30. März 2015

Christoph Klein
Über Bitten und Verstehen
Zwanzig Jahre im Bischofsamt der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Rumänien 1990–2010
Bonn/Hermannstadt: Schiller-Verlag 2013, geb., 536 S., ISBN 978-3-944529-19-6

Rezensent: Jürgen Henkel, Selb-Erkersreuth

Der 2010 emeritierte Bischof der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien Christoph Klein legt mit diesem Band eine beeindruckende Bilanz seines bischöflichen Wirkens von 1990 bis 2010 sowie eine umfassende Bestandsaufnahme der Entwicklung seiner Kirche in jener Zeit vor. Es handelt sich bedingt durch den massenweisen Exodus der Gemeindeglieder nach 1989 um die tiefgreifendste Umbruchphase in der Geschichte der Kirche und der deutschen Minderheit in Rumänien überhaupt. Ganze Dörfer wurden entvölkert, Pfarrhäuser und Kirchen stehen leer. Gehörten 1950 noch 186.705 Seelen zur Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, so waren es im Wendejahr 1989 nurmehr 101.923. Zum Jahresende 1990 war bereits mehr als die Hälfte davon ausgewandert, zum Ende der Amtszeit des Bischofs 2010 zählten noch 13.166 Gemeindeglieder zur Kirche (vgl. Statistik S. 271).
Die Aufrechterhaltung des kirchlichen Lebens für die wenigen verbliebenen Gemeindeglieder und die Bewahrung des Kulturgutes der Siebenbürger Sachsen vor diesem gewandelten Kontext bildeten größte Herausforderungen für den Bischof und die gesamte Kirche, über deren Bewältigung der Altbischof hier themenorientiert Rechenschaft ablegt. Nachdem in den einleitenden Kapiteln die Ereignisse vom Dezember 1989 und die unmittelbaren Folgen behandelt werden, geht es in den weiteren Kapiteln um den Wandel im kirchlichen Leben, den Wiederaufbau der Diakonie, die Sorge um das Kulturerbe, die theologische Ausbildung, den Religionsunterricht, das Jugendwerk und die Frauenarbeit, die Ökumene, die Beziehungen zu den evangelischen Kirchen besonders in Deutschland und Österreich, Gesellschaft, Staat und Politik sowie die Neuordnung von Verwaltung, Rechtsstrukturen und Finanzen der Kirche.
Klein beschreibt alle Entwicklungen detailliert und gewährt viele Einblicke, auch in wichtige Meinungsbildungsprozesse. Die Darlegungen des Altbischofs sind gelegentlich persönlich gehalten, meist aber im Bericht- und Protokollstil und manchmal etwas zu ausführlich was die Chronologie von Besuchen und Gegenbesuchen oder auch Gästelisten mancher Tischgesellschaften betrifft. Der Autor zieht hier eine ergebnisorientierte und systematische, nachgerade offizielle Bilanz. Der Leser sollte keine Darstellung von Insiderwissen wie etwa in den Tagebüchern des katholischen Erzbischofs Raymund Netzhammer von Bukarest erwarten (vgl. „Bischof in Rumänien. Im Spannungsfeld zwischen Staat und Vatikan", 2 Bde., München 1995/1996). Das ist aber auch nicht die Intention des äußerst verdienstvollen Werks, das vor allem dokumentieren will. Es geht um eine Bestandsaufnahme, nicht so sehr um Wertungen.
Von ganz besonderer Bedeutung für die Forschung sind die im Anhang abgedruckten 62 Dokumente, Quellentexte und Statistiken (S. 271-521). Hier bietet Klein eine nahezu lückenlose Sammlung wichtiger Rechtstexte der Kirche und wegweisender Beschlüsse der Kirchenleitung von 1990 bis 2010 im Wortlaut, wertvolles statistisches Material sowie Ansprachen wie etwa jene von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher beim Empfang im Bischofshaus am 19. Januar 1990. Diese konzentrierte Zusammenstellung ist als systematische Dokumentation und Quellensammlung zur Entwicklung der Kirche in jener Zeit bisher einmalig und auch deswegen von Bedeutung, weil hier auch sonst nur äußerst schwer zugängliche Texte publiziert sind.
Zu den wichtigsten Quellentexten auch von politischer Relevanz zählen unter anderem das Kanzelwort des im Februar 1990 verstorbenen Bischofs Albert Klein vom 22. Dezember 1989 und dessen „Erwägungen zur Lage unserer Kirche und ihrer Gemeinden nach den Ereignissen am 22.12.1989" vom 26. Dezember, mehrere Berichte zur Lage der Kirche aus dem Jahr 1990, die ökumenische Protestnote von 2001 gegen den geplanten „Dracula-Park" bei Schäßburg oder die „Erklärung von Snagov" der Kultusgemeinschaften Rumäniens vom 16. Mai 2000 zur Unterstützung des EU-Beitritts des Landes.
Klein bietet weiterhin viele Dokumente zu innerkirchlichen Themen wie dem Ringen um die kirchliche Haltung zur Auswanderung, dem Kampf um den Fortbestand des Theologischen Instituts, die Sicherung des Kulturgutes und der Kirchenburgen, den Aufbau eines Begegnungs- und Kulturzentrums (Friedrich-Teutsch-Haus) und der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Hermannstadt, der organisatorischen und geistlichen Neustrukturierung des kirchlichen Lebens sowie zur Novellierung des Kirchenrechts. Einschlägige neue Kirchenordnungen, Satzungen und Rechtstexte werden vollständig wiedergegeben.
Bischof Klein selbst spricht im Band mehrfach von der für Gegenwart und Zukunft der Kirche so wichtigen Verbindung von „Kirche der Ordnung" und „Kirche der Liebe". Die umfassende Quellensammlung belegt, wie die Kirchenleitung und der Bischof selbst beiden Aspekten gerecht wurden. Die Bewältigung der Auswanderung der meisten Gemeindeglieder ging stets mit dem Bemühen einher, die Kirche trotz der Schrumpfung in nur 20 Jahren auf einen Bruchteil ihrer früheren Größe geistlich, administrativ, kirchenrechtlich und organisatorisch nach innen wie nach außen zu stabilisieren.
Außerordentlich spannend sind die Quellen über das Verhältnis zum Staat nach 1989. Hier geht es unter anderem um das erst 2006 endgültig verabschiedete neue Kultusgesetz, den Einsatz für die Wiedereinführung des Religionsunterrichts und der Anstaltsseelsorge in Krankenhäusern, Heimen und Militäreinrichtungen oder die staatliche Förderung diakonischer Einrichtungen nach dem Subsidiaritätsprinzip. Die Kirche rang nach 1989 um volle Autonomie, gleichzeitig aber um Beibehaltung des bisherigen Rechtsstatus und finanzieller Förderung durch den Staat wie etwa bei Gehältern, die es sogar im Kommunismus gab. Fast wie ein Krimi lesen sich die Texte zur Auseinandersetzung mit dem Staat um Rückgaben vom kommunistischen Regime enteigneter Gebäude, darunter das Brukenthal-Museum in Hermannstadt.
Immer wieder wird deutlich, welche gewaltige und jeden Beteiligten persönlich existenziell fordernde Aufgabe der Bischof und die Kirche in dieser Zeitspanne bewältigt haben und welches Gewicht die Kirche gerade dank der Persönlichkeit von Bischof Klein auch nach der Wende und mit der neuen geringen Zahl behalten hat. Jeder, der sich mit Siebenbürgen und vor allem der Evangelischen Kirche dort beschäftigt, wird diesen vom deutsch-rumänischen Schiller-Verlag auch sehr schön gestalteten Band mit größtem Gewinn als Bericht aus erster Hand zu den Geschehnissen und Entwicklungen jener Zeit lesen.

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