„AN DEN TOREN ZUR WELT" – EIN LESENSWERTES BUCH
20. Juli 2012
Der Einladung des Landeskonsistoriums zur Vorstellung des Buches von Altbischof D.Dr. Christoph Klein „An den Toren zur Welt" waren am Freitag, 18. Mai 2012, 12 Uhr zahlreiche Gäste im Festsaal des Bischofshauses gefolgt und wurden von Bischof Reinhart Guib herzlich begrüßt. Musikalisch umrahmt wurde diese festliche Be-
gegnung durch die drei Sätze von Joseph Haydn „Londoner Trio" in G-Dur für zwei Flöten und Cello. Ansprachen hielten außer dem Autor des Buches noch der Bürgermeister und Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien Prof. Klaus Johannis und Prof. Dr. Hermann Pitters, der die eigentliche Buchvorstellung vornahm. Beim anschließenden Empfang signierte Altbischof D.Dr. Christoph Klein für interessierte
Teilnehmer Exemplare seines neuen Buches. Wir bringen im Folgenden die Ausführungen von Prof. Pitters.
"In Höhen und Tiefen hineinleuchten"
„An den Toren zur Welt" – ein lesenswertes Buch des emeritierten Bischofs D. Dr. Christoph Klein
Von: Prof. Dr. Hermann Pitters
ADZ am 16. Juni 2012
Wer die neueste Veröffentlichung des emeritierten
Bischofs der Evangelischen Kirche A.B. in Rumä-
nien D.Dr. Christoph Klein zur Hand nimmt, hält ein
äußerst wertvolles und schönes Druckwerk in Hän-
den, das ihm beim Lesen und Durchblättern große
Freude bereiten wird. Es trägt den Titel „An den To-
ren zur Welt" und enthält rund 40 geistliche Reden,
Grußworte und Vorträge bei verschiedenen Gele-
genheiten gesellschaftlicher und politischer Art oder
bei kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltun-
gen, zu denen der Bischof im Laufe seiner zwanzig-
jährigen Dienstzeit im bischöflichen Amt eingeladen
worden war. Dabei war es ihm ein Anliegen, im sä-
kularen Bereich doch immer als Theologe zu reden,
die Welt in der Vielfalt ihrer Bezüge – sei es in
Kunst und Literatur, in Politik und Geschichte – „sub
specie aeternitatis", im Licht der Ewigkeit zu sehen
und in Höhen und Tiefen hineinzuleuchten, die dem
nur oberflächlich Denkenden meist verborgen blei-
ben. Es geht ihm dabei um ein möglichst weites, um-
fassendes Verständnis von Kultur, die als solche das
gesamte geistige Leben des Menschen umschließt.
Dabei kommt es, wie es im Untertitel des Buches
heißt, zur „Begegnung mit der siebenbürgischen
Kulturgesellschaft".
Die Veröffentlichung dieses Buches ist ein Dan-
keszeichen für die Verleihung des „Georg-Dehio-
Kulturpreises" seitens des Beauftragten für Kultur
und Medien der Bundesrepublik Deutschland durch
das „Deutsche Kulturforum östliches Europa" am 22.
September 2011 in Berlin. Diesen Preis erhielt der
Autor für sein „Engagement für den Erhalt des kultu-
rellen Erbes der Deutschen in Siebenbürgen". Der
Titel des Buches weist auf ein bestimmtes, weit ge-
spanntes Verständnis von Kultur als „Gesamtheit
von Sinnhorizonten" in einer bewusst erfahrenen und
verantwortlich gestalteten Welt. Vor den geöffneten
Toren dieser geistigen und jeweils geschichtlich er-
lebten Welt gilt es Ausschau zu halten nach Mög-
lichkeiten der Begegnung und der eigenen, bewuss-
ten Beteiligung an dem Geschehen, das sie bestimmt.
Es ist eine Vielfalt von Bezügen in die die so umfas-
send verstandene Kultur führt. So gliedert der Ver-
fasser seine Reden und Beiträge in sechs größere
Abteilungen: zunächst über Kunst (Literatur und
Musik), über Bildung und Erziehung, über Gesell-
schaft und Politik, sodann über Spezialfragen der
deutschen Minderheit in Rumänien und über Fragen
der kirchlichen Erinnerungskultur. Gerade die insge-
samt 13 Vorträge innerhalb der beiden letztgenann-
ten Abteilungen zur Minderheitsproblematik und zur
Erinnerungskultur sind zeitgeschichtlich von ganz
großem Wert, weil hier zum Teil erstmalig Fakten
dokumentiert sind, die bisher noch wenig oder gar
nicht erforscht wurden. Die letzte Abteilung bildet
schließlich unter der Überschrift „Zugänge" fünf
Texte zur persönlichen Biographie des Autors, die er
anlässlich seines 60. und 70. Geburtstages und beim
Abschied aus dem Bischofsamt abgefasst hat.
Es geht in allen Beiträgen zwar um eine bewusste
Hinwendung zur „Welt", zu Fragen des Zusammen-
lebens und der Kultur der Menschen in ganz weitem
Sinn, um eine Bewegung nach außen im Sinne der
Mission, denn die Kirche ist der Welt solchen Dienst
des Zeugnisses und der Deutung schuldig. Und doch
kehrt der Autor im Gespräch mit der Welt immer
wieder zu seinem Ausgangspunkt, zur Kirche zu-
rück, in die er zugleich einlädt. Dieses Gespräch von
innen nach außen vollzieht sich gleichsam zwischen
Tür und Angel, an den Toren zur Welt, wobei – wie
es im Buch an mehreren Stellen zu lesen ist – gerade
das Stehen „an der Grenze" die eigentliche frucht-
bare Situation zur Erkenntnisfindung ist. So bildet
das Thema „Kirche" den geheimen roten Faden, der
sich durch alle Beiträge zieht, sei das in den tief-
schürfenden Besprechungen wichtiger Werke aus der
zeitgenössischen deutschen Literatur siebenbürgi-
scher Autoren (Erwin Wittstock, Eginald Schlattner,
Joachim Wittstock), sei es im Nachdenken über
Kultur und Bildung im heimischen und europäischen
Kontext, oder in seinen treffenden Beobachtungen
und Erfahrungen zur Zeitgeschichte. Dabei wird an
vielen Stellen deutlich, dass es für die Kirche kei-
neswegs um eigene Selbsterhaltung geht, sondern
dass die modellhaft in die Welt hineinwirkt und ge-
rade so für diese bedeutsam wird. Der Autor
schreibt: „Als Kirche haben wir in unserer ökumeni-
schen Arbeit hier und weltweit gelernt: Die ver-
söhnte Verschiedenheit ist ein Modell, das für die
Herausforderungen der Zukunft hilfreich ist. Das
Akzeptieren der anderen und die Erwartung, dass
man ebenso in seinem Anderssein angenommen
wird, ist damit gemeint. Dieses Identitätsverständnis
kann auch für eine europäische Identität Gültigkeit
erlangen" (S. 70). Damit ist über den eigenen kleinen
Horizont hinaus, auf den großen gemeinsamen Kul-
turraum Europa hingewiesen: „Die Frage nach der
Rolle der Kultur wurde besonders nach 1989 in der
Suche nach der Identität Europas neu gestellt... Wird
nicht gerade die Kultur bemüht, wenn es darum geht,
den Anspruch der südost-mitteleuropäischen Staaten
und Völker anzumelden zu Europa zu gehören?
Denn dass man mitten in Europa als einem gemein-
samen kulturellen Raum lebt, lässt sich anhand der
Vergangenheit und des kulturellen Erbes am besten
nachweisen" (S. 86). Wenn es darum geht, dem sä-
kularen Europa und der überfremdeten Stadt die ei-
gene Sache zurückzugeben, meint der Verfasser:
„Der Stadt eine Seele geben kann für die Kirchen
bedeuten, eine Kultur der Begegnung und des Zu-
sammenlebens, eine Kultur der Versöhnung und eine
Kultur des Helfens (der Nächstenliebe) selbst zu
pflegen, in der Öffentlichkeit zu verbreiten und für
alle zugänglich zu machen" (S. 139).
Die Kirche steht vor der großen Aufgabe, das
überkommene Kulturerbe zu bewahren. Dabei gehö-
ren die Kulturwerte, über die sie verfügt ja nicht ihr
allein, sie sind Teil des allgemeinen Kulturerbes der
Menschheit. In der Kirche gibt es eine differenzierte
Sicht der Kultur, die von einer Verabsolutierung
warnt. Der Christ „weiß bei allem Einsatz zur Be-
wahrung von Gütern der Kunst und Kultur, dass die-
ses der Vergänglichkeit angehört, dass es – wie Bon-
hoeffer sagt – ‚zum Vorletzten', nicht zum Letzten
gehört, ‚anvertrautes Gut' ist, das uns letztlich nicht
gehört... Wir sind gerufen, weil wir im ‚Vorletzten'
leben, die vorletzten Dinge ernst zu nehmen, sie in
Ehren zu halten" (S. 103/103). In Anlehnung an das
Buch von Ina Seidel „Das unverwesliche Erbe" sagt
der Verfasser auf S. 121: „An die ‚Unverweslichkeit'
des Erbes, das auch im Kulturgut eines Volkes be-
steht, müssen wir glauben, um es erhalten zu können.
‚Glaube schafft Zukunft' – diese wichtige theologi-
sche Maxime (von Gerhard Ebeling) gilt auch im
Bezug auf die Zukunft irdischer, vergänglicher, aber
darum doch ‚verweslicher' Werte und Güter. Um die
Erhaltung dieses ‚unverweslichen Erbes' geht es de-
nen, die es zu bewahren trachten, auch wenn sie wis-
sen, dass dieses Erbe vielleicht eines Tages an an-
dere Erben übergeben wird. Denn es geht um des Er-
bes willen nicht um die Erben, sondern um das
Erbe."
Freilich ist die evangelische Kirche in Rumänien
im Zuge des großen historischen Umbruches nach
1989 in eine völlig neue Lage gekommen. Der Autor
schreibt: „Die einschneidende Veränderung des Ge-
sichtes unserer Kirche durch den Massenexodus nach
der Wende ... und den so nie dagewesenen Umbruch
unserer kirchlichen Situation von einer ‚intakten
Volkskirche' zur Minderheits- und Diasporakirche
verstehen wir als Herausforderung, vor die Gott uns
in Gericht und Gnade stellt. Es ist der Aufruf, uns
durch Buße zu verändern, die Versäumnisse und
Verfehlungen der Vergangenheit zu bekennen und
den Wandel von der Vergebung her als eine von Gott
gegebene Chance zu akzeptieren. Das wird es mög-
lich machen, unseren Auftrag als protestantische,
lutherische Minderheitskirche in Rumänien in den
gewandelten Verhältnissen mit Zuversicht auf eine
unbekannte, aber von Gott verheißene Zukunft im
Gehorsam gegen das Evangelium Jesu Christi auch
heute wahrzunehmen und weiterzuführen" (S. 240).
Die Kirche wird, indem sie ihre neue Lage annimmt,
besonders im ökumenischen Gespräch und in der
Begegnung und der Gesellschaft in ihrem Umfeld zu
einer „Kirche für andere" (S. 204), die trotz ihrer be-
drohlichen Schrumpfung durch die Auswanderung
innerhalb ihres Lebensraumes eine positive Bedeu-
tung hat, einfach weil sie ein „Gewicht" hat. Der
Verfasser formuliert: „Mehrheiten leben von ihrer
Zahl, die Minderheiten von ihrem Gewicht... Chris-
ten werden nicht gezählt, sondern gewogen" und die
Erfahrungen der letzten 20 Jahre weisen darauf, dass
auch von einer kleinen Minderheit erstaunliche Wir-
kungen ausgehen können (S. 265).
Im Geleitwort, das der Hermannstädter Bürger-
meister und Vorsitzende des Demokratischen Fo-
rums der Deutschen in Rumänien Klaus Johannis zu
diesem Buch geschrieben hat und das auf die Lauda-
tio zurückgeht, die er anlässlich der Verleihung des
Kulturpreises an Altbischof Christoph Klein im
September 2011 in Berlin gehalten hat, heißt es:
„D.Dr. Christoph Klein hat die vielseitigen Chancen,
die wir selbst als kleine deutsche Minderheit in Ru-
mänien unter neuen politischen Vorzeichen haben,
richtig erkannt. Er stellte die Weichen dafür, dass die
evangelische Kirche diese Möglichkeiten wahrneh-
men kann. Er selbst hat die neuen, oftmals schweren
Herausforderungen angenommen und dadurch we-
sentlich zum Erhalt des Kulturerbes der Siebenbür-
ger Sachsen beigetragen."
Das Buch ist hervorragend ausgestattet. Eine
Überraschung sind die über 70 zum Teil sogar farbi-
gen Bilder, die viele Situationen, bei denen die Re-
den gehalten wurden, sowie zahlreiche dabei begeg-
nete Persönlichkeiten festhalten. Wodurch vieles für
den Leser lebendig wird. So kann dieses Buch je-
dem, der es zur Hand nimmt zu einem überaus anre-
genden Erlebnis werden.
Prof. Dr. Hermann Pitters
aus:
LKI • L ANDES K IRCHLICHE I NFORMATION •
Amtliches Informationsblatt des Landeskonsistoriums der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien
Erscheint zweimal im Monat
XXIII. Jahrgang Nr. 12/30. Juni 2012