Geschichtegeschichtchen im Schatten der Wehrmauer
15. Dezember 2010
Das jüngste Kinderbuch von Anne Junesch: „Familie Mausewitz"
Durch die alte sächsische Wehrmauer vor Straßenlärm und Erschütterungen geschützt leben einige Mäuse, Igel, Maulwürfe ... Wie bereits das „Ameisenvolk" wurde der aktuelle Mäuse-Clan nebst Nachbarn mit besonderem Charme und Witz von Elke-Maria Klein illustriert: bunt und fröhlich.
Die Geschichte „Familie Mausewitz" handelt von tapferen Mäuslein, die genau am 14. August 1708 die Mühlbacher von einer Kurutzenbesatzung befreit haben. Diese Plünderer wären noch schlimmer als die Tataren gewesen – aber wer kann das vergleichen? Die Autorin schildert die Umstände der Plünderung und Belagerung nicht direkt, sondern lässt sie im Gartenpalaver der Kleintiere zur Sprache kommen. Jede Figur der stabreimenden „Ehepaare" trägt mir ihrem Wissen und ihren Fragen bei. So sehen wir im Vordergrund ein Kleinstadtkränzchen, das gerne Saft trinkt und von Gitterkuchen bis Obsttorte so manche Köstlichkeit verzehrt. Dabei wird die unerhörte Begebenheit von vor 300 Jahren besprochen. Zuletzt beschließen die Stadtmauergartenbewohnerinnen und -bewohner, dass die alten Geschichten aus den dicken Büchern nicht vergessen werden sollten und ein Gedenktag eine gute Sache wäre. Das Wichtigste dabei: sich darüber zu freuen, dass jetzt friedliche Zeiten sind.
Für Kinder könnte Einiges im Buch nicht leicht zu verstehen sein aber dafür ist auch Manches klar und drastisch: Ein splitternackter Pfarrer wird samt ebensolcher Gemeinde in der Kirche eingesperrt! Mehr noch als das Selberlesen könnte es dem jungen Publikum bringen, wenn zum Beispiel die Großeltern ihnen das Büchlein ausdrucksvoll und augenzwinkernd vorlesen oder mit Handpuppen nacherzählen.
In „Schnatterinchen", der zweiten Geschichte in dem Buch, verbindet Anne Junesch wieder Geschichtsbewusstsein einerseits (es wird ein Gedenkstein für die im Krieg Gefallenen und in Russland Verschollenen und Verstorbenen eingeweiht) mit liebevoller Tierschilderung andererseits. Dass das Entenmädchen Schnatterinchen zum Schluss winkt, das tröstet über die stolpernden Stöckelschuhfrauen hinweg.
Gerhild Rudolf, Hermannstadt (erschienen in der ADZ vom 15.12.2010)