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Anna Galon: Zwischen Pflicht und Kür

1. Mai 2009

Die Hermannstädter Zeitung und die Siebenbürger Sachsen im kommunistischen Rumänien und nach der Wende

Rezensent: Jürgen Henkel, Selb-Erkersreuth (aus SÜDOSTEUROPA Mitteilungen, Heft 05/2009)

Gegründet 1968 als Feigenblatt der kommunistischen Minderheitenpolitik hat die »Hermannstädter Zeitung« (HZ) bis heute eine erstaunliche Entwicklung hinter sich gebracht (vgl. SOM Jg. 38, 4/1998, S. 377-379). Als einzige deutsche Regionalzeitung in Rumänien hat sie sich trotz Auswanderung und vieler praktischer Probleme nach 1989 als eigenständiges Blatt behaupten können. Im letzten Jahr konnte die HZ ihr 40-jähriges Bestehen feiern. Zu diesem Anlass hat die deutsche Journalistin und frühere HZ-Redaktionsassistentin Anna Galon jüngst im Hermannstädter Schiller-Verlag ein Buch veröffentlicht, das die Geschichte der Zeitung kundig und ohne falsche Wehleidigkeit darstellt und Hintergründe der Entwicklung aufzeigt.

Das sehr gut gegliederte und mit zahlreichen historischen Bildern und Reproduktionen von Zeitungsseiten aufwändig und sehr schön gestaltete Buch illustriert den Wandel des HZ-Journalismus in den vier Jahrzehnten sowie die besondere Bedeutung der Zeitung für die deutsche Minderheit in Rumänien und ebenso ausgewanderte Siebenbürger Sachsen. Grundlage des Buches ist die Diplomarbeit der Verfasserin über die HZ aus dem Jahr 2004. Was das Buch so wertvoll macht, ist die Einbettung der Zeitungsgeschichte in den historischen Kontext in Rumänien von der Zeit des Ceauşescu-Regimes bis heute. Die Untersuchungsbasis bilden Interviews mit den Redakteuren von der Gründerzeit bis zur Gegenwart und eine systematische Inhaltsanalyse von repräsentativ ausgewählten Ausgaben. Der Leser lernt so nicht nur die Geschichte der HZ kennen, sondern erfährt auch viel über die Minderheitenpolitik Rumäniens vor und nach der politischen Wende, die verschiedenen Phasen des rumänischen Kommunismus, die Medienpolitik unter Ceauşescu und auch die besondere Praxis des Journalismus in der Diktatur sowie nach der Wende.

Am 25. Februar 1968 erschien die erste Ausgabe. Seither hat sich die Zeitung bewährt und behauptet – meist geliebt, gelegentlich hinterfragt, aber immer unverzichtbar für die Leser. Die Journalisten der ersten zwanzig Jahre konnten sich den Zwängen des kommunistischen Regimes – von den Tabuthemen über die Zensur, den verordneten Verlautbarungsjournalismus bis hin zur Kontrolle der verwendeten Papiermengen – nicht entziehen. Sie mussten auch die „hölzerne Sprache" des Systems anwenden (limba de lemn) und die Erfolgsstories des Sozialismus verkünden. Der Anspruch der Journalisten war von Anfang an, den Lesern „eine komplette Zeitung" zu bieten – die HZ wurde zu einem festen Bestandteil der Identität der deutschsprachigen Minderheit im Raum Hermannstadt/Sibiu, wie die Autorin herausarbeitet. So wurde das Ressort Kultur in der HZ „das wichtigste Forum für rumäniendeutsche Themen" (S. 54), die HZ habe ihre Leser bis 1989 stets „daran erinnert, was ihre kulturelle Identität ausmacht" (S. 61). Die Auflage konnte sich bis auf 10.000 Exemplare in den Höchstzeiten Mitte der 1970er Jahre steigern. Der Beliebtheit tat auch die zwangsweise Umbenennung in »Die Woche« bis 1989 keinen Abbruch.

Galon zeigt kundig auf, wie die HZ zu ihren Journalisten kam, wie die Zensur funktionierte und wie die Redakteure gelegentlich auch zwischen den Zeilen Botschaften vermitteln konnten. Der schwierige Spagat zwischen der verordneten Rolle zur Vermittlung der sozialistischen „Erfolge" und dem Versuch der Redaktion, mit dieser Zeitung ein Stück Heimat zu bieten, wird sehr präzise und objektiv herausgearbeitet. Dies ist auch der Tatsache zu verdanken, dass die Autorin eine deutsche Journalistin ist, die nicht aus siebenbürgisch-sächsischer Perspektive schreibt, sondern als unabhängige Beobachterin. Der politische Aufbruch mit Fortschritten und Rückschlägen nach 1989 und die „Neusortierung" der Zeitung werden sehr gründlich dargestellt. Die hierzu interviewten Redakteure wie der frühere Chefredakteur Horst Weber und die jetzige Chefredakteurin Beatrice Ungar sind längst echte Zeitzeugen.

Die Probleme der Zeit werden ausführlich behandelt, von der Finanzierungskrise in der neuen Freiheit über die Frage einer Fusion mit der »Allgemeinen Deutschen Zeitung« ADZ bis zum Mangel an journalistischem Nachwuchs. Vor allem aber die Existenzfrage schlechthin: An wen richtet sich die Zeitung nach dem großen Exodus der Siebenbürger Sachsen konzeptionell? Diese Debatten der 1990er Jahre werden vor allem im Dialog mit Horst Weber und den damals aktiven Journalisten sehr lebendig geschildert. Die HZ hat alle Krisen als eigenständige Zeitung überlebt, was den äußerst ambitionierten Redakteuren zu verdanken ist. Sie richtet sich heute an Rumäniendeutsche im Land, aus Rumänien Ausgewanderte oder Interessenten an Rumänien im deutschsprachigen Raum sowie an in Rumänien lebende oder tätige, Deutsch sprechende Ausländer. Der resignative Grundton der Berichterstattung nach 1989 ist längst gewichen, das Blatt hat heute eine stabile Auflage von 2000 Exemplaren pro Woche.

Kritisch darf angemerkt werden, dass die Autorin wichtige Sekundärliteratur nicht berücksichtigt – wie etwa Manuela Olhausens Buch „Politische Kommunikation im Wandel. Die deutschsprachige Presse des (ehemaligen) Ostblocks zwischen 1980 und 2000" (2005), ein Standardwerk zum Thema. Gefragt werden darf auch, warum mit Grit Friedrich ausgerechnet eine sehr kurz für die HZ tätige Gastjournalistin aus Deutschland so breit als Kronzeugin für die Entwicklung dieser Zeitung zu Wort kommt. Reflektiert werden müsste außerdem die Tatsache, dass die HZ als Zeitung heute kritisch und objektiv über Politik berichten soll, welche die Redakteure zum Teil selbst in führenden Funktionen als Stadt- und Kreisräte mitgestalten. Der mittlerweile fast allmächtige Hermannstädter Oberbürgermeister Klaus Johannis etwa wird nicht einmal mit Samthandschuhen, sondern gar nicht „angefasst". Bei den zitierten HZ-Artikeln wäre es wünschenswert gewesen, auch die Autoren zu nennen. Die nachgedruckten historischen Zeitungsseiten hätte man sich größer gewünscht, um die Artikel auch lesen zu können.

Doch dies schmälert nicht den besonderen Wert dieses Bandes. Das gleichermaßen gut lesbare wie lesenswerte Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der deutschen Minderheitenpresse im Ausland. Dem Schiller-Verlag ist zu der hochwertigen Gestaltung des Bandes zu gratulieren.

Hermannstadt / Bonn: Schiller-Verlag 2008, 166 Seiten, 20 s/w Abbildungen

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