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Weise Ratschläge für die Gesundheit

17. April 2010

Das Gesundheitslehrbuch des Kronstädter Arztes Paulus Kyr

Die Wohlfühlwochenenden sind bereits „im dunklen Mittelalter" entdeckt worden: Wer das nicht glaubt, soll einen Blick auf den Umschlag des neuesten Buchs von Robert Offner werfen, der in einem 380 Seiten starken Band das Gesundheitslehrbuch des Kronstädter Arztes Paulus Kyr aus dem Jahr 1551 auf Latein, Deutsch, Rumänisch und Ungarisch neu aufgelegt hat. Auf dem Buchdeckel baden lustige Paare in einem Badehaus, sie sitzen in großen Badewannen, Essen wird aufgetischt, ein Musiker spielt auf und die Vertreter der weltlichen und geistlichen Macht, ein Prälat und ein Herzog passen auf die guten Sitten der nackten Paare – vergebens – auf, denn unmissverständliche und unsittliche Handgreifungen sind auch zu sehen.

Blättert man im Buch weiter, bzw. wenn man den Hinterdeckel genauer unter die Lupe nimmt, so wird man des alten lateinischen Sprichworts gewahr: Sic transit gloria mundi, so vergeht der Ruhm der Welt, denn nach den schönen kommen die kargen Zeiten. Auf dem abgebildeten lateinischen Originaldruck sind solche Wörter zu lesen wie purgatio (Reinigung durch Stuhlgang), inflammatio (Entzündung), vomitus (Erbrechen), apoplexia (Schlaganfall) und schließlich paralysis. Wer diese Übel vermeiden möchte, soll die Ratschläge des Herrn Kyr genauestens befolgen.

Dem selbst- und gesundheitsbewussten Patienten aus Kronstadt und aus den Siebenbürgischen Ländern durfte der erste Schritt bei der Befolgung der Ratschläge wohl nicht schwer gefallen sein: Das Badehaus lockte – vor allem dann, wenn koeduzierter Badegang angesagt war. Die Befolgung des zweiten Ratschlags – der fast obligate und im Falle von allen Krankheiten applizierte Aderlass – machte aber Schluss mit lustig: Leberader, Milzader, Achselhöhlenvene, Königsvene, Schulterader, Stirnader, Gemeinader, Schwarzader, Mutterader wurden aufgeschnitten (S. 140) – je nachdem, welche ungute Füllung des Körpers durch die „Barbaren" (S. 144) diagnostiziert worden ist. Die Barbaren, in der damaligen medizinischen Hochburg, im italienischen Salerno ausgebildete Ärzte, waren sonst biedere Leute, nur dann griffen sie zum trockenen oder im Ernstfall zum nassen Cucurbitula, zum Schröpfkopf, wenn der Aderlass keine Besserung bewirkte und noch effizienter Blut abgesaugt werden musste. Die Blutegel lassen wir dann aus dieser Rezension aus, sonst würde der geneigte Leser diese Zeilen nicht mehr weiter verfolgen können.

Nach dem Aderlass musste man tatsächlich essen, sonst hätte Kronstadt das 17. Jahrhundert nicht erlebt. Herr Kyr empfiehlt den auf die bösen, dicken Körpersäfte achtenden Lesern von Hoedin (Zickleinfleisch) bis Trüffeln, von Drosseln bis Turteltauben, von Johannisbrotfrüchten bis Pinienkern, von Kichererbsen bis Honigwein so ziemlich alles, was östlicher Luxus und westliche Zielstrebigkeit an Essen und Trinken zusammenzubringen vermochte.

Das Buch lässt die heutigen Leser in diesen Höhen und Tiefen der ärztlichen Behandlung und der Genesung nicht allein: Der Lebensweg des Stadtarztes wird beschrieben, das Gesundheitsbuch wird wissenschaftlich aus heutiger Sicht analysiert, und das medizinische Schrifttum der Zeit wird Revue passiert. Die Übersetzung des lateinischen Textes in die drei Sprachen Siebenbürgens ist eine beachtliche philologische Leistung, die in allen Sprachen mit einer solchen Leichtigkeit gemacht wurde, dass man das Blutvergießen während der Lektüre beinahe vergisst.

András F. Balogh, ADZ vom 17.04.2010

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