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Eine schillernde Persönlichkeit

9. April 2010

Zum Buch von Jacques Picard „Edit von Coler. Als Nazi-Agentin in Bukarest"

Sie wurde 1895 in Berlin-Charlottenburg in eine Künstlerfamilie geboren und wuchs mit dem Bewusstsein auf, zu der privilegierten deutschen Gesellschaftsschicht zu gehören. Dieses Bewusstsein wird auch im zerbombten Berlin und durch den Krieg zerstörten Deutschland nicht erschüttert. 1917 ging sie eine Vernunftehe ein, die ihr jedoch zum Adelstitel verhalf. 1914 hatte sie sich bei Ausbruch des Krieges im Zivildienst engagiert, den Versailler Vertrag empfand sie als persönlichen Affront. Am 1. Mai 1931 trat sie der NSDAP bei und in deren Dienst. Sie brachte ihrer Cousine Margarete Himmler, der Gattin des Reichs- und Gestapoführers, die feinen Manieren bei. Dieser Verwandtschaft, vor allem aber Ihrem Charme, der Intelligenz und Vermittlungsgabe sowie den mit allen Mitteln gepflegten Beziehungen verdankte sie den Aufstieg in die höchsten Kreise der NS-Führung. Diese setzte sie in offizielle Ämter ein und gebrauchte sie als Agentin. Unter anderem in Rumänien.

„Edit von Coler. Als Nazi-Agentin in Bukarest". Unter diesem Titel erschien soeben die von Jacques Picard verfasste erste Biografie, die dieser zu den schillernden Gestalten des Nazi-Reiches gehörenden Frauen gewidmet ist. Das Buch wurde in Französisch verfasst, vom Autor, der als Gymnasiallehrer 30 Jahre lang in Deutschland gelebt hat, selbst ins Deutsche übertragen. Picard verstarb bevor das Buch als Druck vorlag, eine seiner wichtigsten Quellen, Jutta Schröder, die Tochter Edits von Coler, starb im November 2009.

Edit von Coler kam als Gestapo-Agentin und Wirtschaftsspionin nach Bukarest, ist im Anhang zu den von Rolf Pusch verfassten Memoiren zu lesen, der von 1937 bis 1940 an der deutschen Gesandtschaft in Bukarest tätig war. R.G. Waldeck, im Auftrag der „Newsweek" 1940/1941 in Bukarest, meint in ihrem Buch „Athene Palace", von Coler sei nicht Hitlers Spionin, sondern Propagandistin gewesen, eine „komplexere Mission": Statt auf den Augenblick zu warten, in dem ihr wahre Geheimnisse in die Hand fallen, musste sie Tendenzen und Gemütslagen in den einflussreichen Kreisen entdecken, sowie den Charakter, die Meinungen und Schwächen von Persönlichkeiten mit Entscheidungsmacht in der Politik. Das tat sie in den Kreisen um König Carol II., den Großindustriellen Nicolae Malaxa und andere. Überliefert blieben viele Informationen aus dem mondänen Leben und auch Briefe, rarer gesät sind Dokumente, die ihr Wirken belegen. Aus diesem Grund kann Picard oftmals nur Vermutungen anstellen. Sein Buch ist jedoch eine Premiere, „da es ... die richtigen Akzente setzt", so Dr. Paul Milata in dem Vorwort.

Edit von Coler erhält 1935 auf Empfehlung Himmlers das Amt der Auslandspressechefin im Reichsnähramt. Im Dienst der Blut- und Boden-Weltanschauung kommt sie 1938 nach Rumänien. Offiziell „arbeitet" sie als Journalistin und erledigt eine Reihe Aufträge. Dazu gehört, das Wirtschaftsabkommen mit vorzubereiten, das am 23. März 1939 unterzeichnet wird und Deutschland die Erdöl- und Getreideeinfuhr aus Rumänien sichert. Edit von Coler hat damit „die friedliche Eroberung Rumäniens" (S. 90) geschafft.

Ein weiteres Bemühen gilt dem Beenden des „Bruderzwists" der „volksdeutschen Gruppen", vorrangig jener um Alfred Bonfert und Fritz Fabritius, die: „Beide behaupten, die wahren Vertreter der neuen Weltanschauung zu sein ..." so von Coler. In mehreren Briefen an das Reichsaußenministerium und an Werner Lorenz, den Chef der Volksdeutschen Mittelstelle, berichtet sie im November 1938 über die erfolgreiche Schlichtung der Zwistigkeiten (S. 62–63). Die Hitzköpfe bereiten ihr aber weiterhin Sorge, sodass sie Lorenz im September 1939 bittet „energisch einzuschreiten", denn: „Das unvorsichtige Benehmen der Volksdeutschen gefährdet unsere Arbeit" (S. 112). Auch teilt sie mit: „Wehrfähige Deutsche werden von hier nach Deutschland berufen, obwohl sie an der deutschen Front durch ihre kleine Zahl keinerlei Hilfe bedeuten, hier aber von größter Wichtigkeit sind". Dies zum Thema, die Volksdeutschen seien erst 1940 gleichgeschaltet worden.

Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan und wurde gegangen. Im Juli 1940 ruft Reichaußenminister von Ribbentrop Edit von Coler „aus politischen Gründen" aus Bukarest ab. Sie wird keinen weiteren Auftrag und auch nie mehr eine Ausreisegenehmigung erhalten. Von Coler – und auch ihr Biograf – suchen nach allen möglichen Erklärungen dafür, vermutlich gibt es eine ganz einfache: sie war zu auffällig geworden. Nach Kriegsende kommt Edit von Coler für kurze Zeit ins Internierungslager in Moosburg, von wo ihre Tochter sie herausholen kann. Sie stirbt vereinsamt im Mai 1949.

Edit von Coler war eine glamouröse Persönlichkeit, wie insbesondere Diktaturen und korrupte Gesellschaften sie hervorbringen. Auch Jacques Picard war fasziniert von dieser sicherlich außergewöhnlichen Frau. Das mit zahlreichen Fotos illustrierte Buch ist entsprechend lesenswert.

Hannelore Baier in der ADZ vom 09.04.2010

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