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„Wir waren gefangen, aber die Tränen hatten freien Ausgang"

11. März 2016

von Luise Frank, Banater-Schwaben.org, vom 20.01.2016

Im abgelaufenen Jahr 2015 war es 70 Jahre her, dass zehntausende Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen in die ehemalige Sowjetunion deportiert wurden und Zwangsarbeit leisten mussten. Inzwischen ist einiges an wissenschaftlicher Aufarbeitung geschehen, im Gedenkjahr kamen auch Zeitzeugen zu Wort. Zum Abschluss dieses Jahres ist im Schiller-Verlag Hermannstadt der Band „Lagerlyrik" erschienen. Erstmals wurden hier Gedichte, Fotografien, Zeichnungen, Lieder, Verse, Reime und Sprüche der Betroffenen zusammengetragen. Die Herausgeber möchten damit das Leid, aber auch den Überlebenswillen der Deportierten den Nachgeborenen nahebringen.

Das ist den Herausgebern mit diesem hochwertigen, liebevoll gestalteten Buch bestens gelungen. Allein die Blicke der Zwangsarbeiter auf den Fotos sagen mehr als die sprichwörtlichen tausend Worte. Die Texte und Bilder sind nicht nach Themen geordnet, sondern nach Jahreszahlen. Am Anfang steht der Winter 1944/45, die Aushebung und Deportation. Danach nehmen die Bilder, Gedichte und Reime die Leser mit in das Elend des Lagerlebens: Sie schildern die Knochenarbeit in den Kohlegruben und den allgegenwärtigen Hunger. Skizzen und Zeichnungen der Verschleppten zeigen die Arbeitslager und Alltagssituationen wie die Schufterei unter Tage oder den Gang zur Essensausgabe. Bald wird auch der Tod ein Thema. Man liest von Verhungerten, von denen, die in den Kohlegruben verschüttet wurden, von denen, die ihren Erkrankungen erlagen, aber auch von denen, die dieses Dasein nicht mehr ertrugen und ihrem Leben ein Ende setzten. Nicht zuletzt nagt die Frage nach dem Warum an den Deportierten: Kamerad, halt den Mund, / sonst fragst Du dich wund / warum so beflissen / wir hier arbeiten müssen? / Nur hinein in den Schlund! / Und keiner darf fragen, / er muss es ertragen. (Kurt Ziegler).

Das alles dominierende Thema aber ist das Heimweh. Ob es die Sehnsucht nach der Mutter oder nach den Kindern ist oder ob die Verschleppten zu Weihnachten die heimatlichen Bräuche schmerzlich vermissen: Man müsste schon ein Herz aus Stein haben, um von der Sehnsucht, die aus den Texten und Bildern spricht, nicht tief bewegt zu sein, zum Beispiel vom Beginn dieses Frühlingsgedichts von Regina Schramm: Daheim wird jetzt schon alles grün / in meines Vaters Garten. / Veilchen und Tausendschön blühn / und vergebens auf mich warten. [...] Hab dort gepflückt so manchen Strauß / mit Blumen zart und fein; / und sie getragen in das Haus / der lieben Mutter mein.

Im Heimkehrjahr 1949, als die Arbeitslager aufgelöst wurden, steht die Vorfreude auf die Heimat im Mittelpunkt, aber auch der Schmerz darüber, dass so viele nicht heimkehren, sondern in einem Grab in fremder Erde zurückbleiben: Für uns die wir nach Hause kehren / sollt Ihr unvergesslich sein. / Jede Stunde der Erinnrung / soll für Euch ein Denkmal sein. (Maria Binder). Viele der Fotografien, die die Rückkehrer aus den Lagern schmuggelten, zeigen Verschleppte am Grab von in der Deportation verstorbenen Angehörigen.

Ein spannendes letztes Kapitel mit den Jahreszahlen 1950-2015 vereint später entstandene Werke. Sie zeigen, dass das Erlebnis der Deportation nicht mit der Heimreise beendet ist – es liegt wie ein Schatten auf dem Leben der Heimgekehrten: Wenn gelb die ersten Blätter fallen / zieht das Gedenken in das Herz / und wenn Novembernebel wallen / beschleicht uns wieder alter Schmerz. (Franz Frombach). Hier sind auch Texte bekannter Autoren wie Oskar Pastior, Johann Lippet oder Horst Samson versammelt. Von letzterem stammt das titelgebende Zitat aus einem Gedicht für seine deportierte Tante.

Dieses Buch stellt eine bemerkenswerte Gemeinschaftsleitung dar, die es ermöglicht, die Erinnerung an diese bitteren Jahre lebendig zu halten, auch über die Erlebnisgeneration hinaus. Die Idee kam vom Verband der siebenbürgisch-sächsischen Heimatortsgemeinschaften, Initiator und „Antreiber" des Buchprojekts war der aus Schäßburg stammende Dokumentarfilmer, Autor und Produzent Günter Czernetzky. Dem Aufruf, Material für ein solches Werk zu sammeln, schlossen sich die Landsmannschaft der Banater Schwaben an, ebenso das Bukowina-Institut, der Arbeitskreis Geschichte des Hauses der Heimat Nürnberg, der Verband der Siebenbürger Sachsen, das Demokratische Forum der Banater Berglanddeutschen aus Reschitza sowie das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Insgesamt sammelten die Herausgeber 339 Gedichte, 132 Fotos und 113 Zeichnungen oder andere Bildwerke. Daraus wurden 70 Gedichte und 70 Fotos oder Zeichnungen ausgewählt. Es war die vielleicht letzte Gelegenheit zu einer solch umfangreichen Sammlung.

Lagerlyrik. Gedenkbuch. 70 Jahre seit der Deportation der Deutschen aus Südosteuropa in die Sowjetunion. Gedichte, Fotografien, Zeichnungen, Lieder, Verse, Reime, Sprüche. Herausgegeben von Günter Czernetzky, Renate Weber-Schlenther, Luzian Geier, Hans-Werner Schuster, Erwin Josef Ţigla. Bonn-Hermannstadt: Schiller Verlag, 2015. 240 Seiten. ISBN 978-3-944529-73-8. Zu beziehen für 19,90 Euro plus Versandkosten bei der Bundesgeschäftsstelle der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Karwendelstraße 32, 81369 München, Tel. 089 / 2355730, E-Mail .

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