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Eine Welt mit guten, alten Werten und Tugenden

5. März 2012

Zum neuen Buch von Karin Gündisch

Von: Prof. Dr. Mariana Lăzărescu

Mit ihrem jüngst erschienenen Buch „Die Kinder von Michelsberg" lädt die aus Rumänien stammende und in Deutschland lebende Autorin Karin Gündisch in eine heile, beinahe märchenhafte Welt ein, in der man Krise und Korruption vergisst und sich wieder auf alte, gute Werte und Tugenden wie Anstand, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl besinnt. Im Mittelpunkt des Buches steht eine Familie aus Michelsberg, in der das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ein auf Liebe zueinander und gegenseitigem Respekt basierendes ist. In den Kinder- und Jugendbüchern sind solche Familien kaum oder sehr selten anzutreffen. Meistens werden feindliche Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sowie Generationskonflikte geschildert, oder die Eltern sterben früh, sodass sich die Kinder allein im Leben durchschlagen müssen. Man hat bei der Lektüre von Gündischs Buch den Eindruck, dass es sich um Fiktion handelt. Wer ihre Bücher kennt, der weiß, dass sie den Erzählstoff aus der Realität nimmt, dass sie für ihre Gestalten vor Ort recherchiert, dass die Geschichten aber fiktiv, die Einzelheiten darin erfunden sind, auch wenn sie sehr glaubwürdig klingen. Astrid Lindgrens „Die Kinder aus Bullerbü", eine Lieblingslektüre von Karin Gündisch, spielte auch eine Rolle bei der Entstehung des vorliegenden Buches, was am Titel und am Motto bemerkbar wird: „Es ist eine fröhliche Zeit, wenn der Sommer kommt! Die Tage sind so lang, dass man gar nicht aufhören möchte zu spielen."

Wer sich vornimmt, friedliche Familienverhältnisse zu schildern, der landet oft im Bereich der Trivialliteratur, die das (Familien)glück scheinbar gepachtet hat, wie Karin Gündisch selbst sagt. Trotzdem gelingt es ihr, ein literarisch anspruchsvolles Buch zu schreiben. Drei Gründe tragen dazu bei: Erstens ein reales, konkretes, vorgefundenes Familienmodell in Michelsberg. Die vielen vom Postmann erzählten Geschichten inspirierten sie und flossen in das Buch ein. Zweitens ist es der Zeitgeist, die Besinnung auf das Wesentliche, auf Liebe, Achtung usw., der ein Übriges beigetragen hat. Und schließlich ist es ein literarischer Wunsch, die Ambition der Autorin, einmal etwas zu schreiben, das man gern im Kinderbuch lesen möchte, nämlich über Eltern und Kinder, die gut miteinander auskommen.Das Gegenstück zur glücklichen Familie ist die abwesende, zerrüttete Familie des schwer erziehbaren Jungen, der mit seinem Betreuer nach Michelsberg kommt, übrigens auch eine vom Postmann erzählte Geschichte.

Gündisch sieht sich in der glücklichen Lage, Geschichten vorzufinden, sodass sie sie nur noch nach ihren Bedürfnissen nacherzählen musste. Als Schreibende ist sie mit dem Stoff sehr frei umgegangen. Ein Beispiel dafür ist das Begräbnis des Hundes Agamemnon (der in Wirklichkeit Tobi hieß und der mit dem Hof der Autorin in Michelsberg mitgekauft wurde). Der Nachbar, der Schauspieler Franz K., und Karin Gündischs Mann haben den Hund begraben und dabei ein paar Schnäpse getrunken. Franz K. hat dabei allerlei Gedichte rezitiert. Im Buch kommt der Ehemann der Autorin nicht vor, dafür nimmt ein Kind an dem Hundebegräbnis teil. Die Schnäpse verwandeln sich in Pfannkuchen, die Verse in ein von Gündisch geschriebenes Gedicht usw. Auf ähnliche Weise berichtete mir die Autorin, auch mit den Charakteren umgegangen zu sein. Astrid, die mittlere Schwester, wurde zu einem theaterbesessenen Kind und ähnelt dadurch eher der Autorin selbst. Die Leidenschaft fürs Theater hat aber auch mit dem Beruf ihrer Tochter zu tun, die Regisseurin ist.

Die Absicht der Autorin war, drei Schwestern zu Hauptpersonen zu machen, und so ist jeweils in einem Kapitel die eine, dann die andere, und schließlich die dritte die Hauptperson. Dieses Muster wiederholt sich. Die drei Mädchen von der Post in Michelsberg, Anna-Lena, Astrid und Emma, können mit ihren Eltern nicht verreisen, weil im Sommer auf der Post wegen der vielen Feriengäste Hochbetrieb ist. Anna-Lena, die erst Lena, dann Anna gerufen wird, weil der Hund der neuen Nachbarn ebenfalls Lena heißt, mag Pflanzen und Tiere, Astrid liebt das Theater, Emma interessiert sich für Schlammvulkane und Liebesromane. Im Haus der Postleute ist auch Kevin als Gast, ein schwer erziehbarer Junge aus Deutschland. In der Nachbarschaft wohnen noch zwei Mädchen, Miriam, die Tochter des Flickschusters, und Eliana aus Barcelona, die die Ferien mit ihren Eltern in Michelsberg verbringt. Ein unsympathischer Feriengast und somit eine negative Gestalt ist Frau Biermann, die zur erklärten Feindin von Astrid wird. Astrid und Miriam vertreiben Frau Biermann aus ihrem Ferienquartier. Zur Strafe bekommt Astrid Zimmerarrest. Schließlich zieht ein anderer Gast, der Schriftsteller Holger Graf, in die Nachbarschaft. Episoden wie das Dorffest, die Schwalbenschule, der Besuch im Zoo, der Streich mit der tiefgekühlten Forelle im Swimmingpool des Nachbarn, ein aus dem Nest gestürzter Storch, ein Nagel im Schuh des alten Postboten oder der Geburtstag des Vaters sind Erzählanlässe für lustige, aber auch lehrreiche Geschichten. Im Mittelpunkt stehen immer wieder die Spiele und die Streiche der erfinderischen Kinder. Am Ende des Sommers wird Astrid wissen, was „edel, hilfreich und gut" bedeutet. Emma wird froh sein, dass Kevin nicht in sie verliebt ist, weil sie ihn nämlich nicht liebt, aber auch nicht will, dass er deshalb leidet. Anna wird ihren ursprünglichen Namen wieder tragen und der Nachbarhund bekommt beim Großvater der Mädchen ein neues Zuhause und einen neuen Namen.

Auf dem Cover des Buches lesen wir die Fragen: „Gibt es Michelsberg wirklich? Können wir in den Ferien hinfahren?" Die Antwort der Autorin lautet: „Ja, es gibt Michelsberg wirklich. Ja, ihr könnt hinfahren. Fahrt aber lieber nicht im Winter, weil es dort so viel schneit, dass euch der Schnee bis über die Ohren wächst. „
Die zweite Antwort der Autorin auf die Frage, ob es Michelsberg wirklich gibt, lautet: „Nein, denn Michelsberg ist eine poetische Landschaft, also eine Gegend, die so, wie ich sie beschreibe, nur in meinem Buch existiert. Das Dorf gibt es in dieser Form nur, weil ich es so sehe."
Und daran erkennt man schon den Schreibstil der Autorin, die in kurzen, klaren Sätzen eine eigenartige Dynamik und einen lebendigen Erzählrhythmus schafft. Idiomatische Ausdrücke, Redewendungen, Sprichwörter spicken ihre logisch aufgebauten und erzieherisch wirkenden Geschichten. Hinzu kommt die Schilderung von Bräuchen und Gepflogenheiten der Siebenbürger Sachsen, die jahrhundertelang zusammen mit den Rumänen in Siebenbürgen lebten, was oft zu sprachlichen Interferenzen führte.
Die Lektüre ist für die Leser erst recht ein Gewinn, denn sie können in das heitere, wenn auch ferne Universum eines lesenswerten „Sommerromans" eintauchen, das eine frische, angenehm erbauliche Wirkung auf sie haben kann.
(ADZ am 05.03.2012)

weiterführende Links


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