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Werke. Bd. 1: Die Schiffbrüchigen / Lefeu oder Der Abbruch (Werke, Bd. 1). Lefeu oder Der Abbruch von Jean Amery
Die Ausgabe wird unterstützt von der Hamburger Stiftung zur Förderung der Wissenschaft und Kultur

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Kategorie: Bücher
Seiten / Format: 700 S
Erscheinungsjahr: 2007
Verlag: Klett-Cotta
Sprache: Deutsch
ISBN: 9783608935615
Auflage / Bände: 1. Aufl. 2007

Die Schiffbrüchigen<br>Lefeu oder Der Abbruch<br>Anhang zu Die Schiffbrüchigen<br>Anhang zu Lefeu oder Der Abbruch<br>Siglen<br>Abkürzungen<br>Danksagung<br>Editorische Notiz<br>Zu Band 1 dieser Ausgabe<br>Leitlinien für den Erstdruck von Die Schiffbrüchigen<br>Leitlinien für den Erstdruck von Die Festung Derloven<br>Textbeschreibung der unveröffentlichten frühen Manuskripte<br>Dokumentation<br>Jean Améry: Gasthof zur Stadt Graz (mit Vorwort), Januar 1957<br>Hans Mayer (Jean Améry): Brieffragment, vermutlich an Ernst Mayer, wahrscheinlich aus dem Jahre 1945<br>Auszüge aus Briefen:<br>Jean Améry an Maria Leitner (Maria Améry), 10.5.1949<br>Jean Améry an Maria Leitner, 13.5.1949<br>Jean Améry an Maria Leitner, 28.11.1949<br>Jean Améry an Maria Leitner, 29.12.1949<br>Jean Améry an Maria Leitner, 18.5.1950<br>Jean Améry an Ernst Schönwiese, 9.10.1950<br>Hanns Mayer: Artikel für Die Brücke, Wien 1934<br>Vorwort 1. Folge Feber 1934<br>Die gegenwärtige Lage in der deutschen Literatur<br>Zwei Erben Hamsuns<br>Vorwort Heft 3 (richtig: 4) Oktober 1934<br>Gibt es ein Kunsturteil?<br>Richard Dehmel: Der Arbeitsmann<br>Hanns Mayer: Wie es war. Ein Brief ins Ungewisse (1945?) (Brief Eugen Althagers an seinen Freund Franti¡sek Kraznar)<br>Hans Mayer: Inhalts-Umriß (1950?) - Die Schiffbrüchigen<br>Hans Mayer: Die Festung Derloven (1945?)<br>Irene Heidelberger-Leonard: Nachwort<br>Voraussetzungen (1934-1950)<br>Ein zweifacher Schlüsselroman<br>Zeitroman<br>Wieviel Heimat braucht Eugen Althager?<br>Althager und die Grenzen des Geistes und des Körpers<br>Eugen Althagers Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein<br>Rezeption heute und ihre Korrektur<br>Anmerkungen<br><br>Anhang zu Lefeu oder Der Abbruch<br>Editorische Notiz<br>Dokumentation<br>Jean Améry: Die neuen Mönche. Bildnisse (un)berühmter Zeitgenossen: Unbekannter Maler E. S.<br>Jean Améry: Leufeu oder Der Abbruch. Konzept zu einem Roman-Essay (1972)<br>Eduard Mörike: Der Feuerreiter<br>August Graf von Platen: Tristan<br>Jean Améry: Leben mit seinen Bildern<br>Erich Schmid: Aperçu autobiographique<br>Irene Heidelberger-Leonard: Nachwort<br>Zur Genese<br>Die neuen Mönche. Bildnisse (un)berühmter Zeitgenossen: Unbekannter Maler E. S.<br>»Das Problem der Neinsage, ihrer Herkunft und Zukunft«<br>Suche nach einer neuenÄsthetik nach Auschwitz<br>»Die Kontestation [...] kontestieren durch Produktion«<br>Koexistenz von emotiver und rationaler Sprache<br>Von Wittgenstein zu Foucault<br>Zwei Wege sind gangbar<br>Rezeption<br>Anmerkungen<br><br>

Ein früher Versuch des späteren, Aufsehen erregenden Essayisten, die Wundbrände des 20. Jahrhunderts zu benennen - und seine Entschlossenheit, sich ihnen zu stellen.<br><br>

Ein Morgen<br><br>Eugen erwachte. Der kalte Aprilmorgen sah weiß und silbrig zitternd zum Fenster herein. Draußen flatterte auf den Teppichstangen unruhig die Wäsche. Im Fenster gegenüber sah man den Postboten mit weichen, durchgedrückten Knien die Treppe hinaufschlürfen. Neun Uhr also, dachte Eugen schläfrig. Er strich die Haare aus der Stirn. Es schienihm völlig gleichgiltig, sein arbeitsloses Leben um neun Uhr oder später wieder aufzunehmen, jene Last und Schwere zu tragen, die in der Dunkelheit, in den Stunden des Versinkens in Körperwärme, jenes maßlosen, haarwirren Hineingewühltseins in Polster und schmutzig-warmes Bettzeug ferne war.<br>Wie schwer war doch das tägliche Erwachen. Trümmer der Träume ragten jedesmal noch herüber in den Tag, der schon einen Boten seiner Wirklichkeit in das träge Hirn gesandt hatte. Und rascher dann, Hammerschlägen gleich hintereinander, rückten die Mächte des Tages heran und die schweren, verworrenen Dinge, deren die morgendlich zerwehte, beinahe noch keusche Seele nicht Herrin werden konnte, die wurden dann fortgeschoben, verschüttet, und an die gleichgiltigen, oft lächerlich albernen klammerte sie sich.<br>Eugens allmorgendliches Erwachen war ein Kampf. Es galt, die Gewalten des Schlafes, der Wärme, der hemmungslosen räkelnden Bewegungen zu überwinden. Der tierisch-dunkelrote Schleier der späten Träume mußte zerrissen werden. Der Lust an der Wärme der eigenen Glieder mußte man sich entziehen. Die wundervolle, große Gleichgiltigkeit des Einschlafens war es, die er bekämpfte. DieBoten der Tageswirklichkeit galt es zu stützen gegen die Mächte des Hinunterwollens.<br>Als sei gar keine Zeit mehr zu verlieren, als müsse er in irgendeine Ordnung des Tages sich einreihen, sprang Eugen jeden Morgen um neun aus seinem Bett. Und vor ihm lag doch nur das öde, tötende Nichts seines Tages, das zu füllen er mit der Seele letzter Kraft sich täglich mühte. Trübblasses Nichts aus Hunger und Einsamkeit, das ihn umbrauste; Stunden der kalten Glieder und trockenen Lippen, leise wimmernde Leere des Herzens. Mattklang der Stimme. -<br>Das Nachthemd warf er ab und stand nun nackt im ebenerdigen Zimmer. Im Hof vor seinem Fenster sang mühselig und heiser ein Bettler. Den kalten Strahl des klaren Wassers goß Eugen über seinen Körper und mit den letzten Spuren des nächtlichen Schweißes, die die gläserne Klarheit des Wassers aus Achselhöhlen und Kniekehlen riß, versickerten die dunkel-feuchten Gewässer der nächtlichen Träume in seiner Seele. Die verstreuten Kleider sammelte er und zog sie an. Die tägliche Sorge: wie lange hält mein Anzug noch? düsterte in ihm auf. Hauchzarte Fäden hingen vom Kragen seines Hemdes und den Manchetten. Um wieviel einfacher wäre es doch gewesen, den Kragen daheim liegen zu lassen. Den Kragen - Sinnbild für Eugens bürgerliche Verkleidung. Den Schritt erschlaffen zu lassen wäre besser gewesen, die Haare nicht mehr aus der Stirn zu streichen, wohlig das Grau des Schmutzes seine Kleider eindunkeln zu lassen und bis zum Morgen in den Schenken zu hocken.<br>(Die Tage waren schwer.) Nur noch die Nächte waren gut. Heut hatte Agathe bei ihm geschlafen und noch vor Morgengrauen war sie gegangen, ohne daß Eugen darum gewußt hatte. Wie gut das war: nicht allein in seinem Bett entschlafen zu müssen, Weichheit und Wärme an seinem Körper zu spüren, sich müde zumachen. Ach, in den Nächten, die Agathe mit ihm schlief, war allein vielleicht noch Ruhe und Gleichmaß, Andacht und Glaube. Da war noch ein: Das Leben ist gut, oder: das Leben ist warm, oder: dunkel. - Und das ist nicht zu sagen, was es in den Nächten ist, den Arm über Taille und Rücken einer Frau zu legen und in ihren Achselhöhlen eine Ahnung Schweißes zu spüren, sein Antlitz in fremdes Haar zu betten.<br>Doch am Tage verlor es seine Geltung. Was sein Eigen sein konnte zu jeder Stunde, Trost und Heimat, blieb ihm in der Helligkeit des Tages unerfühlbar ferne und wenn<p>Ein früher Versuch des späteren, Aufsehen erregenden Essayisten, die<br>Wundbrände des 20. Jahrhunderts zu benennen - und seine<br>Entschlossenheit, sich ihnen zu stellen.<br><br>»Hätte man den 23jährigen Hans Mayer, und erst recht den 65jährigen Jean Améry nach seiner Berufung gefragt, er hätte geantwortet: Ein deutscher Dichter.«<br><br>So beginnt das Nachwort der Herausgeberin zu diesem Band, der den literarischen Autor Jean Améry vorstellt. In dem Romanfragment »Die Schiffbrüchigen«, das Améry mit 23 Jahren schrieb, erlebt der Protagonist Eugen Althager, der dem österreichischen proletarisierten Kleinbürgertum entstammt, den Zusammenbruch der Ersten Republik als Untergang seiner bisherigen Welt. Er versucht, sich- auch durch private Untergänge hindurch - in eine Art »heroischen Nihilismus« zu retten.<br><br>Deutlich wird, wie viele Lebensthemen und biographische Momente Jean Améry in dieser frühen Arbeit schon vorweggenommen hat. »Ein notwendiger Roman, wenn nicht gar eine kleine Offenbarung«, so die Herausgeberin. »Lefeu oder Der Abbruch« schließlich, Amérys großer Romanessay aus dem Jahr 1974, ein Künstlerroman mit dem Schauplatz Paris, geht auf den früherenRoman zurück und ist zugleich »eine Bilanz der eigenen Existenz, des eigenen Denkens« (Améry).<br><br>Zur Geschichte von»Die Schiffbrüchigen«:<br>Ein unerhörter Glücksfall, dass das Manuskript sich durch die Zeit der Verfolgung, Flucht, KZ-Haft und Emigration in einer Wiener Manuskript-Agentur erhalten hat. Im Marbacher Literatur-Archiv wurde es bei den Arbeiten zur Améry-Gesamtausgabe entdeckt.

1DEJean Améry, im Oktober 1912 als Hans Mayer in Wien geboren, zählt zu den bedeutendsten europäischen Intellektuellen der sechziger und siebziger Jahre. Seine bahnbrechenden Essays sind in ihrer Bedeutung vielleicht nur mit den Schriften Hannah Arendts und Theodor W. Adornos zu vergleichen. Als Reflexionüber die Existenz im Vernichtungslager stehen sie vermutlich Primo Levis Büchern am nächsten. Zugleich jedoch hat Améry wie kaum ein anderer Intellektueller die deutsche Öffentlichkeit mit französischen Denkern und Schriftstellern bekannt gemacht und konfrontiert.Jean Améry starb im Oktober 1978 durch eigene Hand.Von Irene Heidelberger-Leonard ist bei Klett-Cotta eine Biographie von Jean Améry erschienen.Bei Klett-Cotta erscheint die neunbändige, reich kommentierte Werkausgabe mit zahlreichen noch nicht veröffentlichten Texten. Damit besteht zum ersten Mal ein Gesamtüberblick überdas vielseitige Werk Amérys.

Irene Heidelberger-Leonard, geboren 1944 in der Emigration in Frankreich, war Professorin an der Université Libre de Bruxelles und publizierte zu Günter Grass, Alfred Andersch, Jurek Becker, W. G. Sebald und Imre Kertész. Sie ist die Gesamtherausgeberin der bei Klett-Cotta erscheinenden Améry-Werkausgabe. Für ihre Biographie"Jean Améry. Revolte in der Resignation"(2004) erhielt sie den Preis der Einhard-Stiftung für herausragende Biografik.

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