Krähensommer und andere Geschichten aus dem Hinterland von Balthasar Waitz
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Kategorie: Bücher
Seiten / Format: 205; gebundene Ausgabe
Erscheinungsjahr: 2016
Verlag: Temeswar, Cosmopolitan Art
Sprache: Deutsch
ISBN: 9789738903975
Auflage / Bände: 2.
Die rumäniendeutsche Literatur hat es in den 23 Jahren seit dem Umbruch 1989 geschafft, als einzige selbstständige deutschsprachige Literatur – der nach wie vor fünften deutschen Literatur nach jener der Bundesrepublik, der verblichenen DDR, Österreichs und der Schweiz – alle Generationen, von den Senioren bis zum Schülernachwuchs, in Anthologien und Eigenbänden zu Worte kommen zu lassen. Außerdem ist es ihr auch gelungen, alle literarischen Genres – Prosa, Lyrik, Dramatik, Essayistik, Literaturkritik – nach wie vor zu pflegen. Im Falle des 1950 in Nitzkydorf geborenen Balthasar Waitz meldet sich ein seelenverwandter Landsmann von Herta Müller in Buchform zurück. Sie wurde ebenfalls 1950 in Nitzkydorf geboren und ging dort zur selben Zeit in die deutsche Dorfschule wie Balthasar Waitz, der sie schon von Kindesbeinen an kennt, so wie in einem banatschwäbischen Dorf jeder von jedem Bescheid weiß. Vor dem Umbruch hatte Balthasar Waitz zwei Prosabände veröffentlicht: „Ein Alibi für Papa Kunze" (Klausenburg 1981) und „Widerlinge" (Temeswar 1984). Danach erschien von ihm der Prosaband „Albtraum" (Bukarest 1996), der allerdings erstmals „bloß" ein neuer Sammelband Prosa war, die er thematisch schon vor dem Umbruch veröffentlicht hatte.
Balthasar Waitz' nun vierter Prosaband „Krähensommer und andere Geschichten aus dem Hinterland" vereint diesmal andere, neue Geschichten. Vor allem auch – erfreulicherweise – aktuelle Geschichten aus der Transformationszeit. Damit wird Balthasar Waitz zu einem wichtigen Vertreter der mittleren Generation rumäniendeutscher Autoren, die noch vor Ort in der alten Heimat leben und arbeiten, neben Carmen Elisabeth Puchianu und Christel Ungar Topescu, die auch schon mehrere Einzelbände veröffentlicht haben.
Die Zeit nach dem Umbruch ermöglicht es Balthasar Waitz, die Zeit davor nun präzise und illusionslos erinnern zu lassen, um zu zeigen, wie sie nach dem Umbruch nicht von heute auf morgen bewältigt werden kann, sondern realistischerweise nachwirkt, ja stellenweise erschreckend nachwirkt in denselben Personen, die oft nach wie vor das Sagen haben, da sie es verstanden, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Dies schildert Baithasar Waitz jedoch nicht verbittert, sondern mit viel schwarzem Humor – seine eigentliche literarische Stärke ist der tiefschwarze Humor – aus der Sicht eines Kindes und Heranwachsenden. Der geheime Onkel aus Westdeutschland in der gleichnamigen Erzählung „Der geheime Onkel" durfte offiziell die Provinzstadt nicht verlassen, in die er zu Ceausescus Zeiten kam, um seine Verwandten auf dem Dorfe zu besuchen. Er kann es dann aber doch, weil der Milizmann des Dorfes bestechlich ist und ihm den Besuch erlaubt, aber ihm die Auflage erteilt, nur zur nachtschlafenden Zeit das Haus zu verlassen. So kann der geheime Onkel mit seinen Verwandten nur spätnachts im Mondenschein spazierengehen. Überhaupt spielt die Verwandtschaft in Nitzkydorf, wie in jeder anderen schwäbischen Dorfgemeinde auch, die erste Geige im Seelenleben jeder Familie und gezwungenermaßen auch jedes Familienmitglieds. Die sterbende Mutter erinnert sich im Kreise ihrer „Lieben" an ihre erste Liebe mit einem deutschen Wehrmachtsangehörigen, die unglücklich ausging und ihr auch im Gespräch darüber noch immer die Sprache verschlägt und sie durch alle hindurchsehen lässt, wie durch ein offenstehendes Fenster. Hier gelingt es Balthasar Waitz, von einem nüchternen Berichten zu einem intimen lyrischen Verstehen zu gelangen, wenn er bemerkt, dass seine Mutter nur durch ihn, ihr Kind, allein nicht durchsieht. „Es steht mir alles ins Gesicht geschrieben, was sie noch wissen möchte. In meinen großen Augen kann sie sich lange nachdenklich betrachten. Wie in einem Spiegel."
Einen besonderen Stellenwert haben die von Balthasar Waitz verfassten mehr oder minder banatschwäbischen Ortschaftsporträts, in denen sich zu den altbekannten Facetten nun auch ganz neue, durch die Umbruchzeit bedingte Aspekte hinzugesellen. So kann man im Porträt des Dorfes Birda ohne Hintergedanken durch den Hochsommer sehen, der katzenhaft durch die Gassen den Pappeln entlangstreicht, in einem Geruch nach bestem Stallmist und Kürbisstrudel. Aber dann heißt es auf einmal unerwartet lyrisch: „Und trotzdem muss es hier auch einmal alles Glück auf Erden gegeben haben. Denn dieses brache Stück Land tut bitter weh, wenn man in der Ferne ist, sagen die Leute. Wie Messerstiche tut es weh." Es ist das Heimweh, das die ausgewanderten Banater Schwaben heimsucht, wenn sie einmal im Jahr zu Allerheiligen die alte Heimat besuchen und damit auch die Gräber ihrer Angehörigen, die dieser schüchterne Ort für sie bereithält und sie vor Ehrfurcht verstummen lässt. So spannt Balthasar Waitz in seinen banatschwäbischen Ortsporträts einen weiten Bogen von der Satire bis hin zu lyrischem Besinnen, vom Alltagshorror zum poetischen Innewerden. Dergestalt ist er auf eine ganz eigene Art nicht nur ein Seelenverwandter Herta Müllers, sondern auch ein Bruder im Geiste des früh verstorbenen Südtiroler Autors Norbert Conrad Kaser (1947 geboren in Brixen, 1978 gestorben in Bruneck). Kaser hat in seinen „Stadtstichen" Südtiroler Ortschaften präzise und illusionslos porträtiert. Auf dem Hintergrund der zauberhaften Südtiroler Bergwelt rechnet er ernüchternd mit dem Provinzialismus ihrer Bewohner ab. Bei Balthasar Waitz kommt jedoch viel stärker noch – neben der Abrechnung mit den provinziellen Alltagsdramen – immer wieder auch ein unterschwelliger Versuch hinzu, der Tröstlichkeit noch eine Tür offen zu lassen. So lässt er den aufmerksamen Leser am Ende seiner Geschichten nicht ganz hoffnungslos zurück.
Ingmar Brantsch
BALTHASAR WAITZ, Prosaautor und Lyriker, geb. 1950 in Nitzkydorf, Kreis Temesch, studierte Germanistik in Temeswar (1974), ab 1979 als Journalist darauf als Übersetzer tätig. Seit 2006 BZ-Redakteur. Vor der Wende Mitglied des AMG-Literaturkreises, seit 2006 Mitglied der Stafette, veröffentlichte konstant in den Sammelbänden. Bisher veröffentlichte Waitz fünf Prosabände u.a. „Krähensommer und andere Geschichten aus dem Hinterland" (2011) und „Menschen und andere Träume" (2016). 2012 erhielt er den Nikolaus-Berwanger-Preis des rumänischen Schriftstellerverbandes, für seinen Lyrikband „mit schwalben am hut" den Sonderpreis der Jury (2015). Der Autor ist Mitglied des rumänischen Schriftstellerverbandes und des Internationalen Exil P.E.N.
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