Die Absurdität der Mittelmäßigkeit
28. Mai 2013
Eine Lesung mit Ilse Hehn im Erasmus-Büchercafé in Hermannstadt
„Ich bin kein Opfer", sagte Ilse Hehn als sie am Samstag im Erasmus-Büchercafé, ihr neuestes Werk vorstellte. In „Irrlichter. Kopfpolizei Securitate" verarbeitet die Dichterin ihre persönliche Sichtweise auf ein zusammengebrochenes Regime, welches versuchte, das Wort in Ketten zu legen.
Die Securitate, der lange Arm Ceauşescus, reichte in jeden noch so kleinen Winkel der Gesellschaft, wo der Überwachungsstaat jene aus dem Halbdunkel beobachtete, die, wie Ilse Hehn, nichts wussten von der Regime-Krake, welche ihre Tentakeln schon längst nach ihnen ausgestreckt hat.
Als Opfer betrachtet sich Ilse Hehn dennoch nicht. Sie wusste nichts von der Überwachung durch die Securitate, die Anfang der 70-er Jahre wegen ihrer Kontakte zu westeuropäischen Autorenverbänden begann. In ihrer Lyrik schleuste sie weiterhin ihre Gedanken über das System, sorgsam verpackt in der Metapher, vorbei an den kritischen Augen der Zensoren, die nunmehr als „Komplizen", daran beteiligt waren, dass die Wahrheiten über Ceauşescus Regime abseits der Parteidoktrin an die Öffentlichkeit gelangten.
Hehn schrieb mit Hilfe der Metapher, die sie, wie viele andere Schriftsteller, Freidenker und Regimekritiker auch, in der Zeit der Diktatur aufgrund der rigiden Literaturpolitik, wie sie heute sagt, überstrapazierte, gegen das System aus Mittelmäßigkeit und Stumpfsinn an.
Im ersten Teil ihres Bandes, verarbeitet Hehn unter dem Titel „Irrlichter" Auszüge aus dem 1971 erschienenen Ideologieverseuchten Buch „Geschichte der Rumänen", indem sie aus den Buchseiten, zeithistorischen Fotografien und ganz einfachen Papierschnipseln Collagen zusammensetzte, welche die Ideologie des Diktators und den dazugehörigen Funktionärsjargon als fehlgeleitete „Irrlichter" entlarvt – als eine Ideologie, die den offiziellen Diskurs über Jahrzehnte hinweg bestimmte und Grenzgänger unter der Doktrin der „Schaffung einer neuen, sozialistischen und kommunistischen Nation" zum Schweigen bringen wollte. Im zweiten Teil, „Kopfpolizei Securitate", dem eigentlichen Hauptteil des Bandes, nähert sich Hehn dann ihrer ganz eigenen Vergangenheit, indem sie ihre Securitate-Akte, in die sie im August 2011 Einsicht bekam, künstlerisch verfremdet.
Dass sich tatsächlich auch eine eigens für sie selbst angelegte Akte anfinden würde, erschien Hehn im Grunde absurd, betrachtete sie sich doch selbst als kleinen Fisch in einem großen Haifischbecken. Ihre Akte ist schließlich das Produkt eines absurden Überwachungsstaates, der in Hehns Collagen den Menschen bedrohlich aus dem Dunkel heraus beobachtet. Was sie, die Securitate, eigentlich von ihr wollte, ist Ilse Hehn bis heute nicht ganz klar. Sie bewegte sich über Jahre hinweg in einem kafkaesken Irrgarten, in dem sie die Späher des Diktators beobachteten und ihr Leben in eine Akte komprimierten. Der Mensch verschwindet hinter einer Mauer doktrinären Sprachgebrauchs. Was bleibt, ist die Akte – das Produkt einer entfremdeten Welt.
Dieses Buch soll aber keine Abrechnung mit den undurchdringlichen Strukturen der Securitate sein, sondern lediglich ein Versuch, einen Weg zu finden, mit der Vergangenheit umzugehen.
Ilse Hehns Collagen auf schwarzem Untergrund rufen ein unangenehmes, beklemmendes Gefühl hervor, welches auch in ihrer Lyrik, in ihren sprachlichen Bildern zum Ausdruck kommt, die davon erzählen, wie der freie Gedanke durch das System der Kopfpolizei eingeengt wurde.
„Irrlichter Kopfpolizei Securitate" erinnert in dieser Hinsicht auch ein wenig an Orwells „1984". Die Gedankenpolizei ist überall. Das Wort in Ketten gelegt.
Ulrike BETGE
aus der Hermannstädter Zeitung vom 23. Mai 2013
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