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Blind verliebt in ein Land der Kontraste

17. Juni 2013

Der neue Rumänien-Reiseführer von Piper malt ein erstaunlich persönliches Bild

Nicht nur für Deutsche spannend: Jochen Schmidts „Gebrauchsanweisung für Rumänien" ist ab sofort auf Amazon erhältlich.

Man kann Jochen Schmidts Herkunft nicht abstreiten: Er ist im Osten beheimatet, ist ein bekennendes Mitglied der zweiten Generation Ost, dessen Kindheit sich in der DDR abgespielt hat, und das hinterlässt Spuren. Kaum verwunderlich also, dass sich seine „Gebrauchsanweisung für Rumänien" wie eine Liebeserklärung liest. Schmidt selbst wundert sich schon, versucht den immer wiederkehrenden „fiebrigen Zustand vollkommenen Glücks" zu begründen, den er auf seinen Osteuropareisen durchlebt. Eine Klärung könnte besonders dem Westdeutschen nach der Lektüre verwehrt bleiben. Schließlich beschreibt Schmidt unverhohlen die brachliegenden, postkommunistischen Landschaften Rumäniens, dominiert von Plattenbauten, die „irgendwie grauer und roher" sind als zu Hause.

Er spricht von Zaunpfählen, die „mit abgeschnittenen Plastikflaschen" bekrönt sind, und schildert seine abenteuerlichen Erlebnisse in rumänischen Absteigen, wo oft scheinbar nichts funktioniert oder halt anders. Er nimmt lästige Fliegen in Kauf, die einem um die Nase schwirren und den Schlaf rauben, versucht sich als Elektriker, um Wackelkontakte zu reparieren, und zählt nebenbei jeden morgen die Früchte aus dem Obstkorb im Hotel, der niemals nachgefüllt wird.
Dabei spricht Schmidt von einer „Poesie des Provisorischen" statt mit dem Finger zu zeigen. Er malt ein romantisches Bild von einem Land im Umbruch, wo die Dinge oft noch Kopf stehen, man aber dennoch irgendwie Erfolgsgeschichten schreiben könnte, weil das Absurde hier normal und die rumänische Passivität für viele zwar hinderlich, für die, die nichts bewegen wollen, aber willkommen ist.

Schmidt stellt Rumänien als ein Land der Kontraste dar, so bunt wie seine Sprache selbst, deren Beherrschen nicht nur für Linguisten, sondern auch für Ethnologen relevant wäre. Er übt sich in beiden Wissenschaften, findet so den Zugang zum rumänischen Alltag und durchbricht eine Verständigungsmauer, gegen die der Durchschnittstourist eher öfters als selten läuft. Zwar sind seine eingeträufelten Phrasen nicht immer grammatikalisch einwandfrei, dafür aber treffend gewählt und entlocken besonders, aber nicht ausschließlich, dem Bewanderten immer wieder ein Schmunzeln. Gegenüber den Leuten, die meinen, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben, verteidigt Schmidt seine Wahl, Rumänisch zu lernen, mit dem Verweis, dass das lateinische Wort für Löffel, nämlich ligula, allein im Rumänischen erhalten geblieben sei. Zwar würde dieser Fakt einem nicht nützlicher sein als „Hundeschlittensteuern", aber letztendlich hätte er die Sprache auch nicht gelernt, weil sie ihm etwas nützen würde.

Und genauso müsste man auch seine „Gebrauchsanweisung" lesen: Niemals mit der Erwartung, eine Antwort auf alle Rumänien-Fragen zu erhalten, obwohl von Literatur über Zeitgeschichte bis Alltag viel gedeckt wird. Man erfährt zum Beispiel, wer der größte Nationaldichter des Landes ist, wer die prominenten Oligarchen sind, wie das Land mit seiner Erinnerungskultur umgeht, welche Gerichte typisch sind, wie die Medien den Alltag prägen und weshalb Sojasalami immer wieder als Argument anfgeführt wird, um Exil-Rumänen den Mund zu verbieten. Somit fügt sich zwar das große Puzzle langsam zusammen, wirkt aber nach dem Lesen trotzdem unvollständig. Das hat etwas damit zu tun, dass Schmidt um den Westen des Landes einen Bogen macht, und zwar mit Absicht. Denn es ginge ihm darum, Dinge zu sehen „wie das auf einer Toilette mit Schnur festgebundene Seifenstück".

Das für Deutsche Spektakuläre, das für Rumänen keinen Blick wert ist. Vielleicht ist ihm der Westen Rumäniens zu Deutsch, zu Österreichisch, zu westlich eben. Vielleicht hatte es einfach nur pragmatische Gründe, weshalb Städte wie Temeswar/Timişoara nicht auf seiner Reisetour lagen. Aber es fehlt. Es ist ein Manko des Buches, das aber von der guten Recherche nicht ablenken sollte. Denn schließlich kann man Liebe nicht erklären und mit Rumänien verhält es sich scheinbar wie mit dem scheuen Mädchen auf dem Ball, das kein Junge beachtet oder zum Tanzen auffordern möchte: Es ringt stets mit „der Sehnsucht, von der Welt bemerkt zu werden". Und wenn man noch bedenkt, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt, dann kann man auch Schmidt nicht nachtragend sein, dass er Rumänien eben wegen seiner Ecken und Kanten seine Aufmerksamkeit schenkt.

Robert Tari

aus der ADZ vom 12.06.13

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