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Vom „Spion" zum „Werkzeug des Systems"

25. Januar 2015

Wilfried Heller dokumentiert das Überwachungssystem der Securitate

von Jürgen Henkel, ADZ vom 23. Januar 2015

Obwohl die Staatsführung offiziell stets bei der kommunistischen Partei angesiedelt war, so war es doch vor allem der berühmt-berüchtigte Geheimdienst Securitate, der Rumänien mit seinem perfiden System aus Überwachung, Bespitzelung und Repressalien über Jahrzehnte fest im Griff hatte. Alle Institutionen, Medien, Wissenschaftseinrichtungen, Strukturen und Organisationen auf sämtlichen Ebenen waren vom Geheimdienst infiltriert, wobei informelle Mitarbeiter bei der Informationsbeschaffung unverzichtbar waren.

Viel ist bisher dazu geforscht und veröffentlicht worden, vor allem seit der Öffnung der Securitate-Akten durch den Nationalen Rat für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS). Noch immer ist aber das wahre Ausmaß des Securitate-Systems nicht wirklich erfasst. In welchem Ausmaß auch ausländische Besucher des Landes wie etwa Wissenschaftler im Visier der Securitate waren, dokumentiert ein neuer Band aus dem Schiller Verlag Hermannstadt/Bonn. Der bundesdeutsche Geograf Wilfried Heller, Jahrgang 1942, schildert darin, wie er zwischen 1972 und 1975 sowie nochmals 1989 von der Securitate bespitzelt wurde, weil er sich teilweise über mehrere Wochen zu Forschungsaufenthalten im Land aufhielt.

Wären diese Schilderungen nicht bitterer Ernst und anhand der Originalakten dokumentierte Wirklichkeit, ließe sich dieses Buch fast wie ein spannender Agententhriller lesen, der die Wahnvorstellungen eines Überwachungsstaates, einen kleinen Teil seiner Methoden und den Allmachtsanspruch eines sich selbst erfüllenden Bespitzelungssystems schonungslos offenlegt. So entsteht eine verstörende Perspektive auf die totalitäre Diktatur in Rumänien und deren so selbstherrliches Herrschaftsinstrument der Securitate. Heller stammt aus Littmitz in Böhmen, er studierte Geografie, Germanistik, Geschichte, Pädagogik und Philosophie und wurde 1969 von der Universität Heidelberg promoviert. Anfang der 70er Jahre führten ihn als Universitätsassistenten Forschungsaufenthalte für ein Habilitationsprojekt und 1989 als Professor eine Reise nach Rumänien. Wie sich herausstellte, wurde er dabei auf Schritt und Tritt von der Securitate überwacht.

Der Autor schildert in dem Buch anhand seiner Securitateakten nüchtern und emotionslos, wie minutiös der Geheimdienst ihn ausforschte und welche Akten darüber angelegt wurden, welche informellen Mitarbeiter auf ihn angesetzt waren, wie viele Menschen genötigt wurden, Berichte abzuliefern, ohne Mitarbeiter des Dienstes gewesen zu sein, und auch wie rasch die Spirale aus Verdächtigungen und Denunziation in Gang gesetzt werden konnte. Er gewährt Einblick in seine Gefühlswelt, als die dunklen Limousinen in seinem Umfeld zur Regel wurden und er sogar bei einer Ausreise ein stundenlanges Verhör an der Grenzstation über sich ergehen lassen musste.
Im Januar 2010 stellte Heller einen Antrag auf Aushändigung der Kopien seiner Akten bei der CNSAS-Behörde in Bukarest. 2011 bekam er seine Akte der Jahre 1972 bis 1975 in die Hand, 2012 dann eine weitere Akte für die Monate zwischen April und August 1989. Es gelingt Heller, anhand der Auswertung und systematischen Darstellung dieser Akten und der an seiner Überwachung beteiligten Akteure die Methodik der Bespitzelung und Überwachung durch die Securitate am eigenen konkreten Beispiel zu illustrieren.

Auch die Typen und Rollen der Securitate-Informanten werden dabei ausdifferenziert. So unterscheidet er zwischen informellen Mitarbeitern, die aus eigenem Antrieb, auf eigene Initiative und freiwillig für die Securitate arbeiteten, und Personen, die vom Geheimdienst genötigt wurden, Berichte oder Stellungnahmen zu ihren Kontakten mit dem ausländischen Forscher abzuliefern (vgl. S. 82). Heller plante in Rumänien Anfang der 70er Jahre ein Forschungsvorhaben zum Thema „Kulturlandschaftswandel im ländlichen Raum Rumäniens unter dem Einfluss der Urbanisierung und der Kollektivierung der Landwirtschaft". Das Thema stellte für die Securitate ein „heißes Eisen" dar, war doch bei diesem Thema die Differenz zwischen der sozialistischen Theorie und der Praxis besonders hervorstechend. Viele Wirtschaftsdaten galten zudem als Staatsgeheimnis.
Schnell konnte der Verdacht der Spionage gegen den deutschen Geografen gesät werden. Heller stand im Kontakt zum Geografischen Institut der Akademie der Wissenschaften der damaligen Sozialistischen Republik Rumänien. Durch einen rumänischen Kollegen wurde das geplante Forschungsvorhaben im September 1972 zu einem Fall für die Securitate.

Seine Reisen durch das Land wurden misstrauisch überwacht, da der Geheimdienst vermutete, er würde kritisches Material gegen Rumänien sammeln und auch unvorteilhafte Fotos aufnehmen, obwohl die Informanten stets auch von seinem grundsätzlich positiven Verhältnis zu Rumänien berichteten. 48 Farbfotos aus dem Fundus des Autors sind dem Band beigegeben, eine einzigartige Quelle zu den Verhältnissen Anfang der 70er Jahre. Die Akte „Horea" aus den 70er Jahren umfasste auf 195 Seiten 82 Vorgänge. Zu den Berichten zählt auch ein Vermerk eines Verkehrspolizisten, wonach Heller regelmäßig sein Auto vor dem Geografischen Institut parkte...

Beklemmend im Blick auf die Aktivitäten der Securitate ist die Tatsache, dass Heller auch nach Beendigung des Forschungsaufenthalts bis 1975 weiter bespitzelt wurde, unter anderem sein Briefverkehr mit Rumänien. Beängstigend sind außerdem die „Kollateralschäden", die Heller referiert. So hat die Überwachung seiner Forschungsaufenthalte unter anderem dazu geführt, dass Professor Virgil Constantinescu als Direktor des Soziologischen Labors aufgrund gezielter Denunziationen im Zusammenhang mit seinen Kontakten zu Heller abgesetzt und zum einfachen Universitätsdozenten degradiert wurde (S. 83 ff).

Auch von seinem Aufenthalt im Sommer 1989 fertigte die Securitate eine Akte an („Hans"), die aber nur neun Dokumente auf 26 Seiten umfasst (vgl. S. 107-119). Darin wird nun intern empfohlen, den früher als Spion verdächtigten Heller – O-Ton: „das Element" – aufgrund seiner „positive(n) Haltung zu Rumänien" zu fördern und für das System in Form kontrollierter Publikationen in der Bundesrepublik nutzbar zu machen (vgl. S. 118 f.). Besonders arglistig war die Aktion des Securitate-Offiziers Ladislau Szépesi, der sich rumänischen Kontaktpersonen Hellers gegenüber als Westdeutscher ausgegeben hat, um Informationen zu sammeln. Der Verhörbericht von 1973 wird ausführlich wiedergegeben (S. 93-106).

Alles Geschilderte bietet Erklärungen dafür, warum die Rumänen bis heute ein so gespaltenes Verhältnis zu Politik und Staat haben. Ein Staat, der so agiert, zerstört Vertrauen über Generationen. Der Band von Heller kann jedem zur Lektüre empfohlen werden, der vertiefte Einblicke in das Überwachungssystem der Securitate gewinnen will. Dem Autor, der hier als Betroffener zu einer überaus sachlichen und differenzierten Darstellung ohne jedes Moralisieren und Anklagen findet, und dem Schiller Verlag kann nur gedankt werden für diese faszinierende wie erschreckende Dokumentation des Totalitarismus, dessen Machtmechanismen hier pars pro toto vorgeführt werden.

Wilfried Heller: „Von 'Horea' zu 'Hans. Irrungen und Wirrungen der Securitate Rumäniens im Spiegel zweier Akten", Bonn/Hermannstadt: Schiller Verlag 2014, 128 S., geb., 48 farbige Abbildungen, ISBN 978-3-944529-37-0, 59 Lei/14,80 Euro

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