"Sinnvoll ausgeprägte Schönheit": Joachim und Rohtraut Wittstock über Margarete Depner
9. Februar 2015
„... etwas über mich (...) schreiben zu wollen, ist eine unnötige, durchaus undankbare und meinerseits völlig unverdiente Bemühung." Den Satz schrieb die am 22. März 1885 in Kronstadt geborene, am 2. September 1970 ebendort verstorbene Bildhauerin, Malerin und Zeichnerin Margarete Depner am 28. August 1964 in einem Brief an ihren Enkelsohn Joachim Wittstock und dessen Gattin Inge. Genau ein halbes Jahrhundert später, 2014, machten der Schriftsteller Joachim Wittstock (*1939) und dessen Schwester, die Journalistin Rohtraut Wittstock (*1949), eben das, wovor die 79-jährige Künstlerin als einem „undankbaren" und „unverdienten" Unternehmen gewarnt hatte. Was den beiden dabei glückte, ist ein in mehrfacher Hinsicht außerordentliches Buch.
„Margarete Depner. Eine Bildhauerin in Siebenbürgen" ist nicht nur das Porträt einer beachtlichen Frau und ebensolchen Künstlerin, es ist zugleich eine Skizze des erstaunlichen Kreises deutscher Künstler im Kronstadt der Jahrzehnte vor und nach der Mitte des 20. Jahrhunderts; die Kunsthistoriker Walter Myss (1920-2008) und Günther Ott (1915-2005) teilten darüber Aufschlussreiches mit. In zwei breit angelegten und fünf ergänzenden Kapiteln – mit Erinnerungsfragmenten, Stammbäumen, öffentlichen wie privaten Werkbeurteilungen etc. – nähern sich Joachim und Rohtraut Wittstock den Lebensstationen, der Persönlichkeit, der familiären und gesellschaftlichen Umgebung und vor allem dem Werk an. Dieses wird auf 61 – technisch makellos erstellten – Bildtafeln veranschaulicht, neben Fotografien der Skulpturen die Reproduktionen von Gemälden und Grafiken. Im Text außerhalb des Bildteils finden sich in dem 340 Seiten umfassenden Buch zusätzlich Fotos aus dem Familienbesitz und Porträts der Künstlerin: Zeichnungen Arthur Coulins (1869-1912) und Fritz Kimms (1890-1970), außerdem die Büste von Hans Guggenberger (1902-1987) und das geniale Bildnis in Kohle von Friedrich von Bömches (1916-2010). Ein Personen- und ein Ortsregister vervollständigen den Inhalt.
Einführend entwirft Joachim Wittstock im kenntnisreichen und einfühlsamen Text „Sinnvoll ausgeprägte Schönheit" (S. 7-146) ein Bild der Vita und des künstlerischen Wegs Margarete Depners, das zugleich mit gründlich belegten Einzelheiten zu einem Familienbild wird. Unter dem Titel „Margarete Depner in Selbstzeugnissen und in Beurteilungen anderer" sammelte und gliederte Rohtraut Wittstock Dokumente unterschiedlicher Art zu Person und Opus (S. 147-218): Briefe, Zeitungsberichte, Tagebuchaufzeichnungen, Notizen zu Kunst und Künstlern etc. Geht Joachim Wittstock in der Aufzeigung des künstlerischen Horizontes bis zu Größen wie Georg Kolbe (1877-1947), Ernst Barlach (1870-1938), Josef Thorak (1889-1952) oder Emil Nolde (1867-1956) u.a., so zitiert Rohtraut Wittstock Äußerungen, Anmerkungen, Hinweise zu Fragen der Ästhetik, zur Bedeutung des Lichtes in der bildenden Kunst, zu Selbsteinschätzungen u.Ä.m. Dabei lesen sich die von Rohtraut Wittstock ausgewählten Passagen von oder über Margarete Depner ebenso kurzweilig und informationsreich wie – wenn auch auf andere Weise – Joachim Wittstocks geistreiche Auslassungen zu Wesen und Anliegen der Kunst. Dies alles fügt sich trotz der Aussagefülle zu einem einheitlichen Ganzen von bemerkenswerter Geschlossenheit. Nicht allein Kronstädter Künstler wie Hans Mattis-Teutsch (1884-1960), Hans Eder (1833-1955) o. a. scheinen darin beziehungsreich auf, sondern ebenso Henry Moore (1889-1986), Nicolae Grigorescu (1838-1907) oder Michelangelo (1475-1567).
So notiert Margarete Depner z. B. in einem Brief an Joachim und Inge Wittstock vom 4. Dezember 1965: Man lernt Michelangelo „am besten (...) durch seine Gedichte kennen. In den Gedichten öffnet sich seine Seele ganz (...)" Am 28. August 1964 heißt es über Noldes Blumenbilder: Ihr „Farbenzauber muss jeden fühlenden Menschen verzaubern (...), eine Welt reinen, heiligen, bis dahin ungekannten Ergriffenseins." Am 7. April 1966: „Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich nicht auch ‚modern' arbeiten könnte – aber wenn ich es auch könnte, so kann ich es doch nicht wollen, denn ich kann (...) nicht etwas machen, was mir nicht aus tiefster Seele kommt." Am 9. April 1967: „Die Kunst will heute zu ihren Uranfängen zurück und zu dem, was ohne Wissen und Können (...) an Anschauung oder an Gefühlswerten ausgedrückt (...) wird. Aber so vieles, was nur durch Wissen und Können (...) sich kristallisiert, einfach über Bord zu werfen, wie es die heute Neues Suchenden tun, kommt mir bedauerlich vor." Usw. An solchen Textstellen werden künstlerische und analytische Intelligenz der Margarete Depner wie in Momentaufnahmen sichtbar.
Den Kern allerdings des im doppelten Sinn gewichtigen Buches der Geschwister Wittstock bilden die Schwarz-weiß- und Farb-Reproduktionen (S. 241-360). In ihnen offenbart sich eine überzeugende Künstlerpersönlichkeit trotz häufig geäußerter Selbstzweifel (z. B.: „Gerade jetzt bin ich wegen meines geringen Können sehr deprimiert"; 26. Juni 1934). Der kritisch fragende Ausdruck auf dem Selbstproträt in Öl, das die Reihe eröffnet (S. 241), gibt viel von der geistigen und moralischen Substanz dieser Persönlichkeit preis: Hellwach blickt das Frauenantlitz vor dunkelblauem Hintergrund dem Betrachter entgegen. Und auf jeder Bildseite bestätigt sich, dass alle Kunst im Grunde Autobiografie ihres Schöpfers ist. In der Selbstversunkenheit der in Marmor gemeißelten „Kauernden" ist deren Schöpferin nicht weniger präsent wie in den „Zwei knieenden Mädchen", im „Porträt eines Jungen" wie in der Büste des Vaters „Wilhelm Scherg d. Ä." Etc.: Jedesmal sehen wir uns in dem gemalten, in Stein gehauenen, aus Ton geformten oder mit dem Stift gezeichneten Abbild einem Menschen gegenüber, dessen verhalten meditative oder verhalten dynamische Ausstrahlung sich zwingend mitteilt - nicht anders als die Schöpferin dieser Bildnisse.
Wer Margarte Depner persönlich kannte, diese zugleich warmherzige wie auf Distanz bedachte Frau, die mit dem gleichen gewinnenden Lächeln vor einem stand wie mit dem leicht abwesenden, nach innen gewendeten Blick, die unnahbar und im Augenblick darauf anziehend zu wirken vermochte – oder all dies gleichzeitig –, erkennt ihre Gesichter wieder in den weiblichen und männlichen, den jungen und alten Menschenbildnissen, die sie schuf. Die hoch gewachsene, bis ins Alter schlanke und immer gepflegte Frau ertrug auch den kommunistischen Wahnwitz ihres Geburtslandes und dessen Kunstdiktat, dem sie beginnend mit ihrem sechzigsten Lebensjahr ausgesetzt war, in beispielhafter Würde.
Joachim und Rohtraut Wittstocks Buch – sachlich und dennoch mit Empathie verfasst – füllt auf beachtliche Weise eine Lücke in der Literatur über die Kunst der Deutschen Siebenbürgens im 20. Jahrhundert.
Hans Bergel, aus Siebenbuerger.de vom 8.2.15
„Margarete Depner. Eine Bildhauerin in Siebenbürgen." Vorgestellt von Joachim Wittstock und Rohtraut Wittstock. Mit Photographien von Oskar Gerhard Netoliczka und anderen, hora Verlag, Hermannstadt, 2014, 340 Seiten, ISBN 978-606-8399-06-5, zu bestellen für 29,90 Euro beim Erasmus Büchercafé in Hermannstadt.