Warum Rumäniendeutsche in die SS eintraten
20. Februar 2008
Der Historiker Paul Milata untersucht dieses Thema in „Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS"
Von Jakob Horstmann
Es ist ein heikles Thema. Paul Milata hat sich in seiner Dissertation „Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS" (Böhlau Verlag, 2007) der Frage angenommen, was rumäniendeutsche Männer während des Zweiten Weltkriegs zum Eintritt in die Waffen-SS bewog. Wie eigentlich immer, wenn es um die Täterschaft im Zweiten Weltkrieg geht, so ist auch diese Frage alles andere als unumstritten. Da seriöse historische Arbeiten fehlten, wurde die Debatte bislang von Gerüchten und unbelegten Volksweisheiten dominiert, die Milata so zusammenfasst: „(...) überhaupt seien die rumäniendeutschen SS-Männer als Opfer zu betrachten, da ihr SS-Eintritt nicht freiwillig, sondern unter Zwang geschehen sei." (S. 2) Dies ist die These, die Milata untersucht.
In den ersten Kapiteln legt Milata eindrücklich dar, wie sich das Verhältnis der rumäniendeutschen Minderheit zu den „Reichsdeutschen" im Laufe der Jahre seit der Entstehung Großrumäniens 1918 entwickelt hat. Dazu gehört eine genaue Analyse der sogenannten „1000-Mann-Aktion" von 1940, als in einer Art Pilotprojekt für spätere SS-Rekrutierungen unter „Volksdeutschen" gut 1000 Rumäniendeutsche in die Waffen-SS eingegliedert wurden.
Die ersten fünf Teile des Buches können als eine Vorbereitung auf Kapitel sechs verstanden werden, in dem es konkret um die Eintrittsmotivation rumäniendeutscher SS-Rekruten geht. Dort zeigt Milata, wie der soziokulturelle Zeitgeist der rumäniendeutschen Minderheit im Jahre 1943 zwischen reichsdeutscher Verklärung, Misstrauen gegenüber dem rumänischen Staat und Angst vor dem sowjetischem Bolschewismus die individuellen Entscheidungen pro oder contra SS-Eintritt bestimmte. Milata kommt zu dem Schluss, dass in diesem Spannungsfeld, „zwischen Hitler, Stalin und Antonescu" eben, die individuellen Entscheidungen mitnichten für jeden gleich und schon gar nicht rein zwanghaft, sondern der „Schlusspunkt individueller Abwägungen" (S. 4) und mithin multikausal waren. Neben den ideologischen Gründen, die aus damaliger Sicht für einen SS-Eintritt gesprochen haben mögen, spielten, so Milata, auch der höhere Sold, die bessere Ausrüstung, die großzügige Unterstützung der Familie und andere pragmatische Faktoren eine Rolle bei der Entscheidung pro SS.
Der Kern der Angelegenheit, die Schuldfrage, bleibt bei Milata meist unausgesprochen, schlummert aber ständig im Hintergrund. Vordergründig konzentriert er sich voll und ganz auf die der Schuld vorgängige Frage der Freiwilligkeit des SS-Eintritts. Schade ist, dass Milata diesen für sein Vorhaben so zentralen Begriff der Freiwilligkeit eher schlampig definiert.
Tatsächliche (im Gegensatz zu juristischer) Freiwilligkeit liegt ihm zufolge dann vor, wenn die handelnde Person sich mit ihrer Entscheidung „identifiziert". Was das angesichts des von ihm brillant nachgewiesenen multikausalen Charakters der fraglichen Entscheidung bedeuten soll, lässt er offen. Dieses Problem spielt auch in Milatas etwas sorglosen Umgang mit dem Begriffstrio der Freiwilligkeit, Alternativenlosigkeit und Schuld hinein. Im sechsten Kapitel argumentiert Milata in nicht weniger als sieben Unterkapiteln überzeugend dafür, dass die rumäniendeutschen Männer eigentlich keine Wahl hatten, dass sowohl sie als auch ihre Familien „letztlich keine Alternative zum Eintritt in die Waffen-SS" sahen (S. 202).
Er tut das sogar so überzeugend, dass die Grundthese seiner Arbeit, dass „der rumäniendeutsche Eintritt in die Waffen-SS freiwillig" (S. 211) erfolgte, mit Hinblick auf die übergeordnete Schuldfrage aus rein semantischen Gründen fragwürdig erscheint. Natürlich kann eine Entscheidung freiwillig und gleichzeitig alternativenlos sein. Wie eine alternativenlose Entscheidung aber mit moralischer Schuld zu verknüpfen ist, darauf geht Milata nicht ein und hinterlässt so ein gewisses Vakuum an einem entscheidenden Punkt.
Diese rein terminologischen Diskussionspunkte ändern natürlich nichts daran, dass Milatas Buch eine reichhaltige, transparente und vor allem ausgezeichnet lesbare Studie zu einem bislang vernachlässigten Thema ist.
aus der ADZ vom 20.02.2008