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Literarische Psychogramme der Grenzgänge

15. Februar 2008

Richard Wagner von „Ausreiseantrag. Begrüßungsgeld" zu „Habseligkeiten"

Von Dr. Jürgen Henkel

Gute Literatur spiegelt immer das Leben. Wenn aus existenziellen Lebenserfahrungen Literatur wird, ist das für die Leser besonders spannend, vor allem wenn es dabei um Milieus aus Südosteuropa geht. Der rumäniendeutsche Autor Richard Wagner ist dafür ein gutes Beispiel. 1952 im Banat geboren, verließ er 1987 das Land nach einem Arbeits- und Publikationsverbot. Mit seinem Roman „Habseligkeiten" nimmt er den Weg zurück – und das auf eine äußerst erheiternde Weise.

Die Rahmengeschichte ist recht einfach. Der ausgewanderte Werner Zillich kehrt zur Beerdigung seines Vaters für ein paar Tage in die alte Heimat zurück. Er stößt auf eine Welt, die ihm fremd und vertraut zugleich ist. Allein schon die Beschreibung der Anreise und der Dörfer bereiten jedem Vergnügen, der diese Strecke und Banater Dörfer aus eigener Anschauung kennt. Es entsteht eine Mischung aus Heimatroman, surrealen und absurden Szenen, die jedoch derartig realistisch sind, dass sich Wirklichkeit und Fiktion hier vermischen.

Wagner entfaltet ein buntes und pralles Banater Familienpanorama. Die Geschichte mehrerer Generationen wird hier vorgestellt. Die Personen leben, der Leser hat sie dank der Erzählkunst des Autors plastisch vor Augen. Und all das ohne jene bedeutungsschwere Langatmigkeit oder bierernste Grundsätzlichkeit, die sonst manch deutschem Familienepos anhaftet. Der Grundton ist heiter und gelassen mit der augenzwinkernden lakonischen Larmoyanz des Ausgewanderten, der die Verbitterung hinter sich gelassen hat.

Es ist hier viel Lokalkolorit und Hintergründigkeit im Spiel. Auch selbstkritische Spitzen, etwa wenn Wagner schreibt: „Der Hang der Banater Schwaben zum Selbstmitleid ist größer noch als ihr sprichwörtlicher Fleiß." Wagner ist ein feinsinniger Beobachter – auch aus der heutigen Ferne. Vieles, was sich in Rumänien nach 1989 so abgespielt und entwickelt hat, kommt zur Sprache. Manchmal boshaft, manchmal ironisch, immer treffend. Vom Raubbau am rumänischen Wald über die Wahrnehmung der Ausgewanderten bei Heimatbesuchen durch die „Zurückgebliebenen" („Kein Auswanderer kann sich ohne Geld im Dorf blicken lassen.") bis hin zur Liebe der Leute zum Hochprozentigen und der Gewohnheit mancher Bonzen, nach 1989 Pflastersteine und Asphalt zu klauen.

Auf der Rückfahrt versumpft Zillich in Budapest. Derbdeftige Szenen schildern dies. Er gabelt eine ungarische Prostituierte auf, verdingt sich als deren „Taxi" in den Westen. Der Zuhälter wird zu seinem Geschäftspartner und die Bordsteinbekannte zur Lebensgefährtin, die die bisherige Freundin ablöst und selbst der strengen Mutter im Banat gefällt, als sie die biedere Mamsell gibt: „Plötzlich ist sie die ungarische Hausfrau, wie ich sie aus dem Banat kenne."
Eingeflochten in diese Haupthandlung sind historische Reminiszenzen, etwa die Geschichte einer Auswanderung von Familienmitgliedern in die USA, die geschickt als Parallele zu der Auswanderungsstory der Hauptfigur unter Ceausescu aufgebaut wird.

Satirische Züge nimmt die Schilderung der politischen Entwicklung in Rumänien nach der Wende an: „Die meisten der alten Kommunisten haben die Revolution gemacht. (...) Die Revolte aber oder Revolution oder was auch immer geht direkt in den Wahlkampf über. Es sind mehr Parteien als Wähler. Die Kommunisten gründen immer neue Parteien. Je mehr Parteien es gibt, desto stärker werden die Kommunisten. Die Kommunisten sind jetzt die Antikommunisten. (...) Wo es früher eine Meinung gab, gibt es jetzt viele, zahllose Meinungen. Es herrscht Meinungsverwirrung. Und das im Auftrag der Kommunisten." Das ist präzise beobachtet, trocken-treffsicher kommentiert und brillant geschrieben.

Bis zuletzt präsentiert sich Wagner hier als abgeklärter und schelmischer Erzähler ohne Wehmut und Wehleidigkeit, der Hintergründe und Mentalitäten des Lebens im Banat und in Rumänien sowie die Befindlichkeiten des Aussiedlerdaseins zwischen alter und neuer Heimat aus gebührendem Abstand in lockerem Plauderton gelassen und gemütlich vorführt.
Hier präsentiert sich Wagner durchaus anders als früher. Wer seine 2002 in einem Band veröffentlichten Erzählungen „Ausreiseantrag. Begrüßungsgeld" zur Hand nimmt, lernt noch einen anderen Wagner kennen. Den wütenden, zynischen, harten Wagner, der die Zustände in Rumänien vor 1989 mit gleicher Schärfe seziert wie die Härten der Ankunft im neuen Land. Wie lange hält man den Kommunismus noch aus, wenn man ausreisen kann? Wie schnell wird man Deutscher, wenn man ausgereist ist? Was bleibt vom alten Leben übrig? „Heim ins Reich der Waren."

Messerscharf zeigt Wagner hier am Schriftsteller Stirner die Perfidien und Absurditäten des Systems zwischen Fluchträumen und Fluchtträumen. Es sind kurze konzentrierte Sätze, ein zorniges, schnörkelloses Stakkato der Wut. Vom Kampf um die Auswanderung zum Kampf um die Anerkennung im neuen Staat spannt sich hier der Erzählbogen, von den entwürdigenden Ritualen des alten Systems bis zum bürokratischen Seelenstriptease des Auswanderers im neuen Staat.

Wagner bietet eine Phänomenologie des Nahkampfs zwischen der mühevollen Selbstbewahrung im Securitate-Staat und der Bewährung im BRD-Kapitalismus, wo Einkaufen und Reisen erst mit der Zeit zu selbstverständlichen Lebensvollzügen werden. Das Ringen um die eigene Identität führt er als eine Zitterpartie vor: in Rumänien Deutscher, in Deutschland Rumäne. Und das neue Deutsch erst – mit Worten wie „Blutorange", „Kinderausweis" und „Postnachsendeauftrag"... Sein Fazit: Es ist alles anders als früher, aber nicht alles besser. Und doch gilt ihm die Freiheit vom Totalitarismus als der Mehrwert des neuen Lebens.

Solche Literatur wie diese Bücher von Richard Wagner sagen mehr über die Motive zur Auswanderung, die Flucht nach vorn und manche Flucht zurück, als manches Sachbuch. Wagner bietet literarische Psychogramme des Emigranten, er schildert Erfahrungen der Grenzüberschreitung.

aus der ADZ vom 15.02.08

Ausreiseantrag Begrüßungsgeld, von Wagner, Richard; Erzählungen. Aufbau Taschenbücher Bd.1815, Kartoniert, 199 S., 19 cm, 176g , in deutscher Sprache, 2002 Aufbau TB

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