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Harald Roth: Hermannstadt. Kleine Geschichte einer Stadt in Siebenbürgen, Böhlau 2006

5. Mai 2012

Am 05.05.07 im Spiegelsaal des dt. Forums von Thomas Sindilario vorgestellt:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Hermannstädter

es ist mir, als eingefleischtem Kronstädter, eine besondere Freude, Ihnen das von einem nicht minder eingefleischten und bekennenden Kronstädter, Dr. Harald Roth, vor einem knappen halben Jahr abgeschlossene und erschienene Buch über die rote Stadt bzw. die Haupt- und Hermannstadt, wie sie sich früher stolz nannte, vorzustellen!

Kronstadt und Hermannstadt – was wäre die Geschichte Siebenbürgens, die Vergangenheit, oder gar auch noch die Gegenwart (?), der Siebenbürger Sachsen ohne diese, letztlich doch belebende Rivalität? Langeweile? Mitunter sicherlich...

Dr. Harald Roth, der jüngst zum Südost-Institut in München gewechselt ist und dessen Verabschiedung aus seiner verdienstvollen und überaus ertragreichen Tätigkeit als Leiter des Siebenbürgen-Instituts an der Universität Heidelberg uns nächste Woche bevorsteht, wird übrigens im Rahmen der zwischen dem 14.-16. September laufenden Jahres in Hermannstadt stattfindenden Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde über just diese Rivalität der beiden Städte sprechen. Es ist dies der Vortag des heurigen Sachsentreffens, an dem eine lange Reihe hermannstadtorientierter und spannender Referate zu hören sein wird, wozu ich Sie auch auf diesem Wege im Namen des Arbeitskreises herzlich einladen möchte.

In Kronstadt geht die Sonne bekanntlich einen Tick früher auf als in Hermannstadt und so ist es auch gekommen, daß die erste Fassung des Rothschen Hermannstadt-Kronstadt-Referates vor einem knappen Jahr im Rahmen der Tage des offenen Archivs der Honterusgemeinde zu hören gewesen ist.

Meine lieben Hermannstädter, sollte nun in Ihnen die historisch mannigfach überlieferte Entrüstung über Kronstädter leistungsbezogene Arroganz hochkochen, so gestatten Sie mir bitte noch vor dem Überkochen, mit einer nicht nur auf unsere kleine Gemeinschaft zutreffenden, allzu menschlichen Schwäche aufzuräumen! Statt uns damit aufzuhalten, wer jemand sei und was für einen Namen er trage, sollten wir uns doch besser darauf konzentrieren, was jemand zu sagen hat und wie innovativ, fundiert und überprüfbar seine Aussagen sind!

Besonders in dieser Hinsicht reiht sich Roths Hermannstadt-Buch nicht in die überaus lange Reihe von Büchern und Broschüren aller Art ein, die aus Anlaß des Hermannstädter europäischen Kulturhauptstadtjahres in mehr oder minder großer Eile erzeugt wurden. Roths Buch tanzt insofern aus der Reihe, als daß es dem Autor gelingt die durchaus reiche Literatur zu Hermannstadt, insbesondere die deutschsprachige, zu verarbeiten und daraus einen konzisen, für jedermann verständlichen und gut lesbaren Text zu erstellen. Es wird damit eine bislang wenig beachtete, dafür umso erstaunlichere Lücke in der siebenbürgisch-sächsischen historischen Bücherlandschaft geschlossen: Hermannstadt erhält auf diesem Weg endlich eine ortsgeschichtliche Synthese, die es vermag das örtliche Geschehen in einen größeren, siebenbürgischen und europäischen Kontext einzuordnen!

Meine Damen und Herren, Sie mögen ob dieser Feststellung etwas stutzen. Es ist auch nicht meine Absicht etwa die baugeschichtlichen Arbeiten von Arch. Fabini oder die Arbeiten von Emil Sigerus geringzuschätzen, sicher werden Sie mir und damit Roth aber beipflichten, daß die für den sächsischen Kontext prägende zentralörtliche Funktion Hermannstadts eine ganze Reihe von Hermannstädter Historiker dazu verleitet hat, regionalgeschichtlichen, gesamtsiebenbürgischen Themen nachzugehen. Daher bedurfte es eines äußeren, in unserem Falle eines europäisch-kulturhauptstädtischen Anstoßes, daß dieser lokalgeschichtliche Mangel offenbar wurde. Sollte es vor diesem Hintergrund noch von Bedeutung sein, daß sich der Verfasser als einen Kronstädter bezeichnet? Ich finde nicht.

Roth gliedert seinen Stoff in durchweg klassischer Weise, zunächst Gründung und Aufstieg der Stadt im mittelalterlichen Königreich Ungarn bis 1526, dann ihre Führungsrolle im Rahmen der ständischen Sächsischen Nation bis zu ihrem zeitweiligen Untergang infolge der Herrschaft von Gabriel Báthori in der Stadt ab 1611. Den folgende Abschnitt bis zum Übergang unter habsburgische Herrschaft 1687 überschreibt Roth mit: „die bescheidene Stadt". Es ist die Zeitspanne, in der sich die Stadtführung von der hartnäckigen, politisch oft unklugen und überaus kostspieligen Parteinahme für die deutsche Seite, vertreten durch die habsburgischen Könige Ungarns, verabschiedet und damit auf die distanzierte Haltung des restlichen Siebenbürgens gegenüber dem habsburgischen Absolutismus und Katholizismus einschwenkt.

Der nächste Abschnitt bis 1849 ist wieder ein hauptstädtischer: mit einigen Unterbrechungen Sitz der zentralen Verwaltung der Provinz und wichtigste Garnisonsstadt Siebenbürgens mit Sitz des Commandierenden Generals – letzteres ein Charakterzug, der die Stadt auch heute noch prägt. Es schließen die von bürgerlich-industriellem Aufschwung gekennzeichnete Zeitspanne bis 1918 an, um schließlich die Entwicklung von einer vergessenen Provinzstadt zur europäischen Kulturhauptstadt zusammenzufassen.

Es ist Roths Synthese durchaus anzumerken, daß die Forschungsarbeiten, auf die zurückgegriffen werden konnte für die ersten 700 Jahre der Stadtgeschichte weit zahlreicher sind als für die letzten 150 Jahre. Dies beeinträchtigt den Wert der Arbeit jedoch kaum, da es Roth vermag, zu jeder Zeit die grundlegenden wirkungsmächtigen Strukturen der Stadtgeschichte herauszuarbeiten.

Wie bereits in Roths Kleiner Geschichte Siebenbürgens, die seit einem knappen Jahr nun auch auf rumänisch vorliegt und sich überaus gut verkauft, festzustellen war, gehört es zu den Stärken des Autors, Begriffe und komplexe Strukturen, zumeist mittelalterlichen Ursprungs dem Leser in präzisen, jedoch einfachen Formulierungen näherzubringen. Erwähnung verdienen auch das zweisprachige Verzeichnis der Gassen und Plätze der Stadt sowie das Personen- und Ortsnamenregister, die den Band abschließen.

Neben einigen kleinen Fehlern, wie etwa der, daß Samuel von Brukenthal aktiv als Freimaurer in Hermannstadt in Erscheinung getreten sei, die für die in Bälde zu erwartende zweite Auflage des Buches auszumerzen sind, ist die deutlichste Schwäche des Bandes im Bildteil auszumachen. Während die Abbildungen auf Druckpapier einwandfrei sind, fehlt den auf Glanzpapier gebrachten schwarz-weiß Bildern jeglicher Kontrast, was jedoch, wie zu erfahren war, zulasten des Böhlau-Verlages geht.

Insofern wäre es eine wichtige kulturelle Aufgabe, das hier handlich zusammengefaßte verläßliche Wissen um die Vergangenheit und Gegenwart Hermannstadts auch in anderen als nur der deutschen Sprache dem Publikum zugänglich zu machen. In erster Linie wäre da an Englisch und Rumänisch zu denken.

Um Ihnen, verehrte Zuhörer, einen Eindruck von Roths schriftstellerischem Elan zu geben, verlese ich Ihnen nun seine Vorbemerkung:

Soweit Roth!

Namen widerspiegeln keine Besitzansprüche, sie sind allein Ergebnis kulturgeschichtlicher Vorgänge und haben daher u.U. wie im Falle Hermanstadts unterschiedliche Formen in den verschiedenen Sprachen eines Ortes. Es wird heutigentags in allen möglichen mehr oder minder belanglosen Dingen eine europäische Dimension Hermannstadts erkannt. In Ermangelung einer kohärenten Definition des europäischen Wesens und Seins verkommt dies zu einer mithin skurrilen Übung, war doch eh alles immer schon Europa und ist es seit 2007 erst recht! Daher wäre es überaus begrüßenswert, mehr und öfters der Frage nachzugehen, welchen Beitrag Hermannstadt als Kulturhauptstadt zu einem noch reichlich vage umrissenen europäischen Wesen leisten könnte?

Es würde mit Sicherheit einiges von der viel gerühmten siebenbürgischen Toleranz an Europa weitergeben werden, wenn 2007 durch die Vertreter der Stadt das Funktionieren von Mehrsprachigkeit gerade bei Ortsnamen im Sinne von Roths Vorbemerkung in das Denken des gebildeten Europäers Eingang findet. Die formelhafte Doppelbezeichnung der Stadt mit Sibiu/Hermannstadt, mit der sich das offizielle Hermannstadt derzeit abmühen muß, kann allein auf diesem Weg überwunden werden. Das kulturgeschichtliche Rüstzeug für einen solchen europäischen Beitrag Hermannstadts ist jedenfalls in Form des vorliegenden Buches gegeben.

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