skip to content

Der Banater Schwabe, der Rumänien unter die Lupe nimmt Werner Kremms „Momentaufnahmen" sind Meisterstücke rumäniendeutscher Publizistik

21. Dezember 2016

Dass die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien und ihre regionalen Beilagen, die Banater Zeitung und die Karpatenrundschau, ein Exotikum in der rumänischen Medienlandschaft sind und bleiben, das ist zweifelsohne sowohl den Zeitungsmachern als auch der Leserschaft bekannt. Die Tageszeitung und ihre wöchentliche Banater Beilage lassen sich mit den wenigen gebliebenen rumänischen Zeitungen aus keinerlei Hinsicht vergleichen. Eine Besonderheit der rumäniendeutschen Presse ist die Tatsache, dass sie eher informiert als kommentiert, dass sie sich auf die Berichterstattung konzentriert. Dabei bleibt sie zuverlässiger als so manches rumänisches Blatt, auf dessen Seiten sich die Grenzen zwischen Information und Manipulation stets verflüssigen und das wahre Genre des Kommentars, des erklärenden, kritischen Kommentars, des Leitartikels, wahrlich längst untergegangen ist.

Doch die Banater Zeitung hält durch ihren leitenden Redakteur Werner Kremm am Kommentar als respektable Form des Zeitungsbeitrags fest: Seit etwa einem Jahrzehnt zeichnet der in Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare geborene und in Reschitza wohnende Kremm für den wöchentlichen Leitartikel der Banater Zeitung. Dem rumäniendeutschen Publikum sind also der Schwabe von der Heide, den es ins Bergland gezogen hat, und sein journalistisches Werk selbstverständlich bekannt, einer detailierten Vorstellung des Publizisten, Übersetzers und Journalisten Werner Kremm bedarf es gerade auf den Seiten der von ihm seit 1993 betreuten Zeitung eindeutig nicht mehr.

Aber dass er nun, obwohl er sich jahrelang gegen das Zusammenstellen von Büchern aus bereits publizierten Texten gewehrt hat, seine eigenen Mittwochskommentare in einem Buch zusammengefasst hat, das ist sicherlich lobend zu vermerken. Kremms Buch „Momentaufnahmen. Rumänien unter der Lupe", versehen mit einem Vorwort von Prof. Dr. Anton Sterbling und einem Nachwort von Eginald Schlattner, ist vor Kurzem im Reschitzaer Banatul Montan-Verlag erschienen, für die finanzielle Unterstützung der Veröffentlichtung zeichnet die Regierung Rumäniens über das Departement für Interethnische Beziehungen und das Demokratische Forum der Banater Berglanddeutschen.

Was ist eigentlich ein Zeitungskommentar? Jedes deutsche Journalismus-Lehrbuch liefert folgende einfache Definition: „Der Kommentar nimmt im Regelfall zu einer aktuellen Nachricht Stellung. Er erläutert die Wichtigkeit des Themas, interpretiert die Bedeutung, macht mit Zusammenhängen vertraut, stellt Kombinationen an, wägt unterschiedliche Auffassungen ab, setzt sich mit anderen Standpunkten auseinander und verhilft dem Leser dazu, sich ein abgerundetes Bild über das Ereignis zu machen. In einem guten Kommentar sollte der Hintergrund analysiert und erklärt, außerdem die Meinung des Schreibers argumentativ belegt werden. Er soll die Leser dazu anregen, sich eine eigene Meinung zum Thema zu bilden." (ABC des Journalismus, 6. Auflage, Ölschläger, 1990, S. 109).

Liest man Kremms Wochenkommentare auf der ersten Seite dieser Zeitung, stellt man leicht fest, dass seine Texte die Kriterien der angeführten Definition durchaus erfüllen. Ja, der Journalist Kremm ist wohl der einzige Publizist deutscher Sprache in Rumänien, der mit Regelmäßigkeit das Genre des Kommentars pflegt. In einer Zeit, in der die (noch) lesenden Bürger nach aufrichtigen Erklärungen, nach Meinungen und Stellungnahmen zur komplizierten Realität so richtig lechzen, weil sie mit der manipulierbaren und manipulierten Tagesaktualität regelrecht bombardiert werden, bringt Kremm die Geduld auf, den BZ-Lesern rumänische, manchmal auch internationale Entwicklungen zu erläutern und das Tagesgeschehen kritisch zu begleiten.

Dafür erfüllt Werner Kremm die besten Voraussetzungen, denn der ehemalige Lehrer ist ein Journalist alten Schlags, ein Allrounder, wie es ihn in der deutschsprachigen Presse in unserem Land kaum mehr und in der rumänischsprachigen schon lange nicht mehr gibt. Einer, der mehr gelesen hat und mehr liest als er schreibt. So wie das auch sein müsste, es aber in der Welt von Facebook, von Twitter und Instagram, in der postfaktischen Welt also, nicht mehr ist und auch nicht mehr sein wird.

An dem Leitartikler Kremm ist zweifelsohne seine breitgefächerte Bildung (was inzwischen zu einer absolute Ausnahme unter Journalisten geworden ist!), sein ausgezeichnetes Wissen über Land und Leute, die Region, Europa. Er ist ein besonderer Kenner Rumäniens und der Rumänen, er weiß wie es um dieses Land und seinem Schicksal vor und nach 1989 bestellt war und bestellt ist. Deshalb kann er kritisch auf die Wirklichkeit blicken, deshalb hat er das richtige Gespür für wichtige Entwicklungen und Ereignisse, ob gesellschaftlich, kulturell, politisch oder ökonomisch, ob in Bukarest oder im Banat, in Deutschland oder in Europa. Dass das Zeitgeschehen manchmal an Absurdität nicht zu überbieten ist, das ist dem Kommentator Kremm bewusst. Er analysiert die ihn umgebende Realität mit feiner Ironie und mit dem gesunden Menschenverstand, der vor allem so manchen Printmedien und fast allen Fernsehanstalten, insbesondere aber den Weltenerklärern in den sogenannten Nachrichten-Kanälen abhanden gekommen ist.

Kremm deckt Missstände auf, er nimmt die Unzulänglichkeiten der rumänischen Gesellschaft aufs Korn, er stellt sich und seinen Lesern Fragen, er liefert Antworten, aber gleichermaßen regt er zum Nachdenken an. Er erfüllt dabei genau das, was der Leser von ihm erwartet: Er bietet eine Deutung des Zeitgeschehens an, eine Erklärung, eine Meinung. Nicht die einzige Deutung, Erklärung oder Meinung, aber auf jeden Fall eine, die auf festem Boden steht und vom jedwelchen Wunschdenken frei ist.

Man muss nicht immer mit Kremm einer Meinung sein, aber wenn man die Banater Zeitung liest, dann sollte man wohl mit seiner 2.800 Anschlägen langer Spalte anfangen. Sie sollte für jeden Deutschsprachigen, der hier lebt und etwas von der mitunter wirren rumänischen Gesellschaft etwas begreifen will, Pflichtlektüre sein, die aber auch Spaß machen soll.

Alles in einem: Kremms „Momentaufnahmen" bleibt ein Zeitdokument, ein Mittel, dessen sich in Zukunft Historiker, Zeitgeschichtler und sonstige an Rumänien interessierte Sozialwissenschaftler deutscher Sprache bestimmt annehmen werden. Es bleibt also zu wünschen, dass der Autor die Schaffenskraft und den Willen hat, die wohl meistgelesene Rubrik dieser Zeitung in der bewährten Form noch lange Jahre weiterzuführen.

Dr. Dan Cărămidariu, ADZ vom 21. Dezember 2016

weiterführende Links


Hermann Pfaffs Donbass »

« Was man aus Volkszählungen lernen kann - Überraschende Pointe am Ende