Was man aus Volkszählungen lernen kann - Überraschende Pointe am Ende
10. Dezember 2016
Lucian Boia: Wie Rumänien rumänisch wurde
Übersetzt von Andreea Pascariu
Schiller Verlag
Lucian Boia ist augenblicklich der rumänische Modehistoriker: Jedes Buch von ihm sorgt für Aufsehen oder Aufregung. So auch dieses. Dabei ist seine Methode einfach: Er nimmt bekannte oder weniger bekannte historische Fakten, deutet sie neu, ohne nationale oder philosophische Zwänge. In diesem Fall hat er sich die Volkszählungen vorgenommen und zu diesen Statistiken lässt sich allerhand sagen. Rumänien war einmal ein Einwanderungsland. Viele Menschen sind - sagen wir - nach Bukarest gekommen, um hier ein besseres Auskommen zu finden. Dabei war es nicht leicht, die rumänische Staatsbürgerschaft zu erlangen, es konnte auch zehn Jahre dauern. (Als Karl Storck samt seinen Kindern die împamîntenire erhielt, war das eine große Freude). Einen Sonderfall stellte die Dobrudscha dar. Man war 1878 nicht glücklich darüber, als man diese Provinz erhielt: Dünn besiedelt, um die 150.000 Einwohner, höchstens 225.000, die Türken und Tataren bildeten die Mehrheit. Ein Glücksfall muss die Ansiedlung der Mokanen gewesen sein, aus der Marginimea Sibiului, die das Gebiet ohnedies von der Transhumanz her kannten. Heute ist die Dobrudscha zu 90 Prozent rumänisch, man freut sich aber auch an den vielen Moscheen und Minaretten, die stehen geblieben sind. Die beste Volkszählung war die von 1930: Gesamtbevölkerung 18.057.000, auf dem Land leben 80 Prozent. 350.000 Deutsche. Die ethnischen Rumänen machen 71,9 Prozent der Bevölkerung aus. Es störte sie aber, dass sich ein großer Teil der Wirtschaft in „nicht rumänischer Hand" befand. Von den Industrie- und Handelsunternehmen waren 48,49 Prozent rumänisch, der Rest gehörte Juden oder anderen Nationalitäten. Eine Gleichmacherei ist in den ersten Jahren des Kommunismus gelungen, als sowieso alle enteignet wurden. Ein Problem, das periodisch aufkocht: Werden sich die Ungarn Siebenbürgen schnappen? Der Historiker meint, die Sache sei längst entschieden, die Rumänen hätten schon durch ihren hohen Bevölkerungsanteil gewonnen und das ist derselbe Gedanke, den schon Stephan Ludwig Roth im „Sprachkampf" geäußert hat. Über die Auswanderung der Juden und Deutschen in neuerer Zeit meint der Autor: Was für den Einzelnen einen Vorteil darstellte, erwies sich für die Gruppe als Unglück: Es handelt sich um die Wirkung eines Genozids, es starben zwar nicht einzelne Menschen, aber es verschwanden ganze Ethnien. Es gibt jedoch ein Leben nach dem Tod und wie das ist, sehen wir jetzt. Am Ende kommt die Pointe. Nach soviel Rumänisierung der Rumänen, die ja auch gelungen ist, wählen sie 2014 einen Siebenbürger Deutschen zum Staatspräsidenten. Der Autor hakt aber gleich nach: Einen Ungarn oder Juden oder Muslim hätten sie nicht gewählt.
Hans Liebhardt, ADZ